Wommelsdorf und Schulz zum Quadrat.

Lost in space but not in time – Analyse einer zeitskulpturalen Installation

In Frank Kafkas Schloss kommt jene Stelle vor, wo Herr K im Wirtshaus das Telefon abhebt, um mit jemandem im Schloss zu kommunizieren. Zur Zeit als Kafka dies schrieb, referierter er noch auf die alte Form des Telefons, das nur als Standleitungen existierte, also direkte Leitungen, von denen man im Hoteldienst zunächst profitierte. Aber was Hört Herr K: Rauschen. Dieses beim Abheben des Telefons zu hörende Rauschen hat sogar bei den Physikern und Technikern einen Namen. Es nennt sich Komfortrauschen. Es erinnert wohl noch an die Herkunft aus dem Hotelgewerbe. Es bestätigt, dass eine Verbindung zum komfortablen Hoteldienst vorhanden ist. Für Herr K hat es aber nichts mit Komfort zu tun. Dieses Rauschen hat keine Botschaft, sondern lediglich die Information, dass die unbestimmte Möglichkeit der Kommunikation besteht. Aber die Kommunikation, so sehr sie unweigerliche als existent bestätig ist, ist genauso vage und ungewiss, wie die Wege ins Schloss.

Das ist so etwa wie in den Science Fictions, wo eine Botschaft versendet wird ins All, aber als Antwort nur Rauschen zurückkommt. Es sind tausend und abertausenden Verbindungen im All möglich, aber welche die richtige ist und zu einer konkreten Botschaft wird, das weiß K ebenso wenig wie der Astronaut, lost in space. Weil es eines der grundlegenden Formen in der Sound Installation von Heiko Wommelsdorf und Ingo Schulz ist. Denn wer schon einmal drin war, wird zwar zunächst irgendwie Informationen bekommen, aber zunächst Schwierigkeiten haben, eine konkrete Botschaft zu verstehen. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass wir Augemenschen uns beim Rauschen seit dem technologischen Zeitalter Begriffe der Techniker aneignen, die noch ganz auf das Beobachten und Sehen konzentriert sind, wo es nichts mehr zu sehen gibt.

Es ist erstaunlich, was die Physiker nicht alles für Namen von Rauschen kennen, die wir zunächst einmal als Störung jeglicher Bedeutung und damit Differenzierung annehmen, nur um dem orientierungslosen Auge wieder zum Recht zu verhelfen, dass es das hauptsächliche Organ der Wahrnehmung ist: Das weiße Rauschen, das rote Rauschen, das rosa Rauschen, das braune Rauschen. Das weiße Rauschen ist ein ganz besonders interessanter Fall. Es ist das gesamte Spektrum des Rauschens aller Farben, also das Rauschen des Rauschens, so dass sogar das absolut nichtssagende Rauschen den Sinn einer Farbe erhält. Es ist das Farbspektrum, das hier von den Physikern bemüht wird und auf das auch Wommelsdorf und Schulz anspielen. Die Physiker trauen ihrer eigenen Abstraktionen nicht, wenn es darum geht, die Information des Rauschens einfach als Frequenzen anzugeben. Es muss sinnlich benannt werden und zwar aus einer Zeit, als die Physik noch Spektren sehen konnte. Spektrum ist das lateinische Wort für Gespenst und Phantome. Es ist der Phantomschmerz der fehlenden Augenorientierung, der diese Klassifikationen bedient.

Der französische Phänomenologie Merleau-Ponty entdeckte freilich gerade am Phantomschmerz eines fehlenden Gliedes, was Wahrnehmung eigentlich ist: Verabreichte er Patienten Kokain, verschwand das Phantomglied nicht. Es war also kein rein physiologisches Phänomen. Kappte man aber die sensorischen Nervenbahnen, dann verschwand der Phantomschmerz. Es war also auch kein rein physisches Phänomen. Offensichtlich ist nicht nur die Leib –Seele Unterscheidung Unsinn. Die Sinne des Menschen übersetzen sich ineinander. Kein Sinn agiert für sich allein. Der Phantomschmerz ist ein Protest des Leibes gegen die fehlende Informationsmöglichkeit gegenüber der Welt, die daher das fehlende Glied durch inneren Sinn der Muskeln und des Tastsinns ergänzt. Im Grunde genommen wissen wir dies eigentlich schon immer, so z.B. im Alltag, insbesondere beim Essen, wo Riechen Sehen, Taktilität und sogar Hören alle zusammenarbeiten und sich ineinander übersetzen. Eben dies geschieht auch den auf mathematische Abstraktion folgende Phantomschmerz eines Rauschens, das wir in der Regel gar nicht mehr wirklich unterscheiden können. Wenn irgendjemand noch daran zweifelt, dass Synästhesie die Normalwahrnehmung ist, dann ist die Übersetzung der Rauschfrequenzen in Farben durch die Physiker belegt, die sicherlich nicht Kandinsky gelesen haben, womit übrigens nicht bezweifelt werden soll, dass die herausragende Form der Synästhesie sogar als eine von Hirnphysiologen angeborene Fehlfunktion bezeichnete Veranlagung belegt werden kann.

Es wäre ein Missverständnis, aus meinen Schilderungen eine Ablehnung moderner Naturwissenschaft zu sehen, und so auch keineswegs bei Schulz und Wommelsdorf, ganz im Gegenteil. Die Priester, so Friedrich Nietzsche, leben von der Sünde. Und das gilt jetzt in doppeltem Sinn vom Verhältnis zwischen Naturwissenschaftler und Künstlern. Die so auf Abstraktion und Formelhaftigkeit versessenen Naturwissenschaftlern leben dann doch von der Sünde der Sinnlichkeit, die sie doch so sehr in ihren Formeln untergehen lassen und die Künstler leben von der Abstraktion der Naturwissenschaftlern, um darin das Phantomspiel weiter zu treiben.

Denn eigentlich sind die farblichen Bezeichnungen der Physiker ein wenig kärglich gewählt, denn es müsste nach der Analogie des Farbspektrums ja dann auch das gelbe, das grüne Rauschen und schließlich die Mischformen der Farben auch noch geben, das violette, oder sogar das ultraviolette Rauschen. Und wer im Raum der Installation schon gewandelt ist -denn man muss wandeln – dann wird man feststellen, dass es eben nicht vier Quellen des Rauschens, sondern mindestens 6 sind, die Wommelsdorf und Schulz aufstellen, als gäbe es sechs Rauschfarben, bzw. man wird dann alsbald feststellen, dass sogar noch ein 7. Gibt, die sich dominant von anderen Rauschquellen unterscheidet.

Der nur durch schwarze Quadrate umringte Raum bleibt gleichmäßig weiß. Eine letzte Referenz an den Phantomschmerz des fehlenden Auges? Keineswegs; denn nach dem Farbspektrum zu urteilen, ist das weiße Licht ja zusammengesetzt aus allen möglichen Grundfarben des Lichts, folglich ist weißes Rauschen nicht einfach ein Rauschen, das Information stört, sondern vielmehr, ein Rauschen, das alle anderen Rauschen von rosa bis braun enthält. Nur behaupten die Physiker, dass dieses Rauschen gar nicht real existiert, es ist selbst die Abstraktion einer Grenzerfahrung. Und dann heißt es auch, dieses weiße Rauschen, das gar nicht existiert, sei nicht selbstidentisch. Dann lebt der weiße Raum in der Tat von der Sünde der Physiker, dass wir für die Abwesenheit der Hörbarkeit des weißen Rauschens das Auge brauchen, um den Phantomschmerz des Nicht-mehr-Hörens sinnlich doch noch durch einen anderen Sinn, den Sinn des Sehens zu übersetzen. Wohl gemerkt, hier ist nicht die Abstraktion allein der Grund für einen Phantomschmerz, sondern die Abstraktion von der Abstraktion. Nämlich die Abstraktion vom Auge im reinen Hören, von dem selbst wieder abstrahiert wird, weil das weiße Rauschen ja nur die Annahme einer Extremform ist, die nicht real existiert, so dass es zum Sehen wieder zurückkehrt, um es irgendwie dann doch als farblich erfahrbare Realität zu benennen. Wer die alte modernistische der abstrakten Kunst gemäße Theorie dann noch ernst nehmen wollte, dass weiß und schwarz ja keine Farben sind, der wird hier eines besseren belehrt und kommt im 21. Jahrhundert gerade an. Auch beim weiß und schwarz arbeiten die Sinne in einer gegenseitigen synästhetischen Übersetzung der Sinne, um es als Wahrnehmung erfahrbar zu machen. Aber das ist wie in der Physik nur die Brücke, die Künstler gehen noch weiter, sie werden gleich erkennen, dass selbst die umringenden Wände verschwinden.

Sehen, das hat die philosophische Phänomenologie ebenso wie schon der Sensualismus des 18. Jahrhunderts erkannt, ist ein Fernsinn, Taktilität ein Nahsinn, während Hörsinn etwa dazwischen liegt. Wir können tiefe Töne nicht lokalisieren, wiewohl uns der Bass das Herz und die Eingeweide massiert, weil er einen taktilen Druck ausbildet. Aber bei Höhen ist der Hörsinn näher am sehenden Fernsinn, weil wir diese genau lokalisieren, aber nicht wie den Bass taktil als Körperklang spüren. Wir können tiefe Töne nicht lokalisieren, wiewohl uns der Bass im Techno das Herz und die Eingeweide massiert, weil er einen Druck ausübt, der seinen Frequenzen entspricht. Umgekehrt hat der Hochton keinen Druck, lässt sich aber genau lokalisieren, das kann jeder an seiner Stereoanlage testen. Man stelle die Bässe ab und setze in die Mitte einen Subwoofer. Diesen hören wir auch Stereo mit, weil dies die Hochtöner für uns besorgen. Man sieht daran, dass der Hörsinn zwischen Taktilität und Sehen liegt.

Der Sensualismus des 18. Jahrhunderts gab für die Übersetzung der Sinne ineinander das Beispiel der Kinder, die erst über das Tasten die Erfahrung des dreidimensionalen Sehens erlernen. So greifen die Kinder nach einem in der Ferne vorbeifahrenden Fahrzeug, weil sie im Sehen noch nicht nah und fern unterscheiden können. Der Abstand kann erst erlernt werden, wenn man im Tasten erfährt, dass dasselbe Ding, das man in der Hand hält in der Ferne eben nicht in der Hand liegen kann. Die Ausdifferenzierung der Sinne im Laufe des Älterwerdens ist nicht nur erlernt, die genaue Wahrnehmung wird erst durch die Zusammenarbeit der Sinne ermöglicht. Die genaue Ausdifferenzierung der Sinne ist nicht Trennung, sondern vermehrte Zusammenarbeit der Sinne.

Der Hörsinn aber oszilliert bei der Mitarbeit der anderen Sinne zwischen der Unterstützung unserer Taktilität und des Sehens. Da wird nun deutlicher, warum beim Rauschen und damit der Abstraktion vom Sehen, der Phantomschmerz des Sehens in Form von Farbtiteln für die unterschiedlichen Sequenzen in der Physik benutzt wird. Rauschen hat hohe Frequenzen und liegt damit eher dem Fernsinn des Sehens mit seiner Fähigkeit zur räumlichen Lokalisation näher. Daher lassen sich auch in der Installation die Differenzen des Rauschens genau lokalisieren im Raum. Mit der Bewegung des Körpers im Raum der Soundinstallation entstehen Differenzen, wie Löcher, oder Täler, wo ein Rauschen absackt, ein neues mit Wucht entsteht. Manchmal entscheidet beim Wandeln ein einziger Schritt in eine Richtung über den abrupten Wechsel von tieferliegender Frequenz und höher liegender. Die Überlagerung der Rauschformen führt dazu, dass man eine skulpturale Erfahrung in der Zeit und mittels der Zeit macht.

Nun hören wir freilich keine Frequenz, daher ist der Begriff Frequenz noch fehl am Platz, also Wiederholungen im Rauschen, sondern eben nur gleichförmiges Rauschen. An einigen Stellen der Soundinstallation aber wird der Körper durch einen Basston getroffen, der sich leicht unter die Hochfrequenzen mischt. Hier nimmt man real Frequenzen war, die Energie des Basstons durchkreuzt den ganzen Körper in rhythmischen Wellen, die deutlich spürbar sind. Dies ist aber nur an einigen Stellen der Installation möglich. Diese Stellen bewirken aber eine seltsame Erfahrung. Es wird jetzt erst bewusst, wie stark der Phantomschmerz eines fehlenden Leibraumes beim hochtönigen Rauschen war. Die ganze Zeit hat man unterschiedliche Formen des Rauschens gehört. Es kam von oben und hat durch die schwarzen Dämmmquadarte den Effekt, dass die Wände nicht reflektieren. Es wird einem bewusst, dass man nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes mit hohen Kopftönen herumlief, so dass der Raum durch eine Erfahrung der Vertikalisierung ablief, sondern dass jetzt erst der gesamte Leib im Hören erfahrbar wird. Auch das wohlige Gefühl einer Raumumgebung setzt ein, weil der Basston durch die Wände reflektiert, so dass eben nur an diesen Stellen ein gewohntes Umraumgefühl entsteht. Den Raum, den wir empfinden ist nicht nur um uns, sondern offensichtlich zugleich in uns. Erst jetzt wird einem bewusst, dass etwas gefehlt hat: Das Rauschen in seiner vertikalen Dimension hat eine extrem intellektualistische Fernsinnwirkung, eine regelrechte Verkopfung sinnlicher Erfahrung, eine Abstraktion vom Hören im Hören. Das entspricht dem weißen Raum als sinnliche Erfahrung der Gesamtheit des Rauschens als Abstraktion von allem Rauschen im Rauschen, was wir erst durch die zeitliche Bewegung und Positionswechsel des Leibes im Raum und der Wahrnehmung des Rauschens möglich wurde. Es handelt sich also um eine Installation der Zeit im Raum.

Spektrum ist wie gesagt nicht nur das lateinische, sondern auch das englische Wort für Gespenst. Sehen die Physiker also Gespenster, wenn sie von Spektren des Rauschens reden? Sehen wir also Gespenster, wenn wir die Zeit zu sehen beginnen? Dass man im Rauschen stimmen hören kann, hat denn ja auch viele dazu motiviert von Botschaften des Jenseits zu reden, die im Rauschen verborgen sind. Allerdings können die Physiker dies dann wieder gut erklären. Als Claude Shannon versuchte eine Informationstheorie aufzubauen, ging es auch um die Frage, wie man völlig rauschfreie Information übertragen könne, also vollkommen reine Information, die nicht durch Rauschen gestört wird. Das Rauschen muss weg, nur Künstler begehen die Sünde ausgerechnet das technische Wissen zu benutzen, um das Rauschen wieder zum Ohr und den Leib zu bringen.

Um Rauschen von der Information zu trennen, ging es bei Shannon, und hier muss ich jetzt den englischen Begriff dafür nennen, um die Ermittlung der sogenannten ‚sample rate‘. Im Deutschen, und damit kommt schon wieder eine Metapher der leiblichen Sinnlichkeit ins Spiel, um die Abstraktion und das Fehlen einer sinnlichen Wahrnehmung zu verstehen, heißt das eher: die Abtastrate. Es scheint, dass dann doch wieder Nietzsche herangezogen werden muss, dass die Wissenschaft ein Heer voller Metaphern ist und weniger von Gespenstern: das ist eine andere Art der Sünde gegen die reine Formalität der Naturwissenschaft.

Sample rate verweist darauf, dass sich geregelte und damit wiederholbare Strukturen finden, die vom unverständlichen Rauschen abgesetzt werden können. Das kann jeder selbst überprüfen. Ein Stück Rauschen, das man aufgenommen hat, kann man in eine Wiederholungschleife setzen, die immer und immer wieder aufeinander gelegt werden, bis man so etwas wie Melodie, oder Stimme oder etwas Identifizierbares hört. Also kein Gespenst oder Jenseits, sondern eine rationale Erklärung. Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass Shannon zugleich der Erfinder einer Kryptographie war, also einer Entschlüsselungskunst, denn die beruht ebenfalls auf das Abtasten von Wiederholungen. Als die Nazis die Enigma entwickelten, eine Schreibmaschine, die man codieren konnte, indem man die Buchtstaben verschiebt und nur dann erkennt, wenn man den Code der Verschiebung kennt, konnte allerdings schon der Engländer Alain Turing mit seiner Maschine dies decodieren. Eine Geheimschrift entsteht nämlich, wenn man eben sein Zehnfingersystem auf der Schreibmaschine z.B. verschiebt. Dann kommt ein unverständlicher Text raus, nur muss man den Code der Verschiebung kennen, und wenn das mehrmals verschoben wird, muss man mehrere Codes der Verschiebung kennen. Aber eines gilt immer: Identisch sind dabei die Wiederholungen eines Buchstaben innerhalb eines Codes. Wenn z.B. im Deutschen das A oft vorkommt, ich um einen Finger nach rechts verschiebe und dann immer statt A ein S erscheint, dann kommt s so oft vor wir a im ursprünglichen Text. Wenn man einen Buchtstaben herausgefunden hat, der sich wiederholt, und das ist von Sprache zu Sprache nicht nur unterschiedlich, es ist auch so, dass jede Sprache ganz spezifische Buchstaben kennt, die in Kombinationen mit anderen oft vorkommen, dann lassen sich über Wiederholungen und Häufungen der Code der Verschiebung ermitteln. Auch hier ist es also die sample rate, die ein Decodierung von einem unsinnigen Text, oder einem reinen sinnlosen Geräusch zum sinnhaften Text führt wie im Rauschen, wo nach Wiederholungen von typischen Frequenzen gesucht wird. Von daher erklärt sich auch der Satz der Physiker, weißes Rauschen sei nicht Selbstidentisch. Eben weil es das absolute Rauschen ist, in dem keine Wiederholungen und damit extrahierbare Informationen noch vorkommen. Daher die schwarzen Quadrate, sie sind nicht nur funktionales Material, um die Reflexion der Wände zu verhindern, sondern auch eine Anspielung auf die sample rate, die freilich durch ein anderes einzig herausfallendes schwarzes Quadrat unterbrochen und zugleich bestätigt wird. Von dort kommt ein ganz anderes Rauschen. Das Rauschen, das mit einem Unterwassermikrofon bei schmelzendem Eis gemacht ist.

Zum einen ist das die Erfahrung von Rauschen, die Menschen schon lange vor der Erfahrung des technischen Rauschens gemacht haben, und eigentlich den Namen des komfortablen Rauschens für die Entspannung verdient hätte. Zum anderen verweist das schwarze Quadrat aber nicht auf die heiteren Gefühle bei Ankunft auf dem Lande. Es ist eine Abstraktion durch Aufnahme und zwar einer Unterwasseraufnahmen mit hohem technischen Aufwand. Abstraktion der Wissenschaft und der Kunst treffen sich. Also doch eher Anspielung auf Malewitschs schwarzes Quadrat? Auch er sah seine Experimente in Form einer Wissenschaft und zugleich als Ausdruck einer Ikone. Aber hier geht es um etwas Anderes, eine gegenüber den Technikern andere Wahrnehmung des technischen Rauschens, das eben nicht als Form gilt, die Botschaften verhindert.

Es ist interessant, dass freilich ausgerechnet gute popkulturelle Science Fictions, in denen es um den guten Ton geht, Technik und Wissenschaft ja immer in der Travestie von Metapyhsik zu sehen, dies dann doch eher unbewusst aussagen. In der Adaption des Anime The Ghost in the Shell des Japaners Momuro Oshiis durch Hollywood, wo leider die Story selbst zum Hollywoodkitsch verkommt, sind eben hin und wieder freilich einzelne Szenen erhalten, die dann mit dem besseren übrigens auch auf europäisch-westliche Philosophie anspielenden Original zusammenstimmen. Und da kehren dann doch wieder die Geister in der kälteren und abstrakteren Form metaphysischer Fragen wieder. In einer Szene wird der Defekt der in der Zukunft möglichen Schnittstelle einer Verbindung von Hirn und Computer angesprochen, der Schnittstelle zwischen Intelligenz und Wahrnehmung. Aber in den defekten Schnittstelle, so die Hauptperson im Film trocken, die selbst ein solcher Hybrid zwischen menschlichem Hirn und einer kybernetischen Maschine in Menschenform, also ein Ghost in the Shell ist, gäbe es nur noch Erinnerungsfetzen, die zusammen eben nur noch Rauschen bilden würden. Hier stört nicht das Rauschen die Botschaft, die Botschaften bilden durch ihre ungefilterte Vielzahl das Rauschen.

Nutzlos also, nach Botschaften zu suchen, und das ist bei Kafka genauso wie in The Ghost in the Shell, denn es ist alles andere als ein Komfort. Aber exakt dies ist der Fall bei guten Kunstwerken, sie sind zunächst fremd unverständlich, eben Rauschen, weil sie so mehrdeutig sind, so viele Botschaften, das erst ihre Offenheit darstellt, die uns eher fremd und kalt vorkommt. Alles liegt in der Installation vor und doch wird die erste primäre Wahrnehmung ein gewisses Unverständnis sein. Jeder, der Eintritt in die Installation von Wommelsdorf und Schulz wird zunächst denken, ‚was ist das eigentlich, einfach Rauschen, sonst nichts? Bis man Differenzen hört, die das Nichts strukturieren, dem Hören mit der Differenzen Konturen geben, höheres und tieferes Rauschen, Vermischung mit technisch aufgenommenen Naturrauschen, Bassfrequenzen und körperliche Unterschiede. Hier wird wörtlich gezeigt, dass Rauschen eine Überlagerung der Botschaften ist, die in der Kunst nicht zum Verschwinden gebracht wird. Zu viele Botschaften auf einmal sind wie das Rauschen des Telefons bei Herrn K, reine Information: Hier ist Kunst, denn schließlich befinden wir uns im white cube. Aber mit und in der Zeit öffnet sich dieses Rauschen mit Differenzen und lässt Botschaften frei, die auf mehreren Ebenen schwingen. Durch das Wandeln des Körpers im Raum wird in der Zeit erst eine Struktur deutlich. Zeit und Raumgefühl übersetzen sich ineinander, weil das Nichts nicht erfahrbar ist, es sei denn durch den Leib und seine Erinnerungen und metaphorischen Phantomschmerz-Vergleiche.

Als Heisenberg seine Unschärferelation mathematisch aufstellte, und so beschrieb er es selbst, musste man erst einmal verstehen, was er da logisch fasste. Das war neu und damit meine ich nicht die Formal als solche bzw. die mathematische Logik. Die Naturwissenschaften waren damit an einen Punkt gekommen, wo sie nicht mehr nur erklären konnten, sondern sich mit dem beschäftigen, was bislang ein Vorrang der Geisteswissenschaft war. Sie mussten das verstehen, was sie erklären. Nacht Dilthey erklären Naturwissenschaften mittels ihres universal gültigen Formelsystems der Mathematik, während Geisteswissenschaft verstehen. Aber Heisenberg und Einstein mussten auch zugeben, dass es nicht nur einfach um ein Verstehen ging, sie mussten ihre logisch abgesicherte Berechnung auch experimentell beweisen. Und solange das nicht möglich ist, ist nichts bewiesen. Es erfordert dann doch wieder die Übersetzung in die leiblich erfahrbare Sinnlichkeit des Messens, in der es um Hören und Sehen geht. Es kann einem also nicht wie Hegel noch glaubte, darum gehen, dass einem Hören und Sehen vergehen muss, um in das Elysium der wahren Diskurse einzutreten und selbst dann und gerade dann, wenn für die Physiker das leiblich erfahrbare Raum-Zeit-Kontinuum nicht mehr gilt. Mit der zunehmend komplexeren und abstrakteren Sichtweisen der Naturwissenschaften hat die Notwendigkeit des Verstehens zugenommen und nicht etwa abgenommen, und damit auch die Phantomschmerz-Metaphern, die in der leiblichen Wahrnehmung stecken. In all den Abstraktionen der modernen Wissenschaften hat nicht einfach etwas vom Verstehen und den Metaphern überlebt, sie haben vielmehr zugenommen, damit die Botschaften des Rauschens nicht aufgrund der Logik sondern der Metaphern, also eben der sich überlagernden Botschaften.

Wir wissen von der Gestaltpsychologie und der philosophischen Phänomenologie, die sich auch gegenseitig ergänzt haben, dass unsere Wahrnehmung immer von einer irriduziblen Differenz begleitet ist, Figur und Hintergrund. In der Philosophie besser: der Horizont eines Kontextes und sein oder seine Inhalte, eben Botschaften. Und die weitere Entwicklung der Gestaltpsychologie parallel zur Entwicklung der philosophischen Phänomenologie hat dies auch für zeitliche Wahrnehmung gezeigt. Ein zielgerichtete Wahrnehmung ist immer nur vor einem im Hintergrund laufender Kontexte möglich, aufgrund derer das in der Zeit Geforderte antizipiert wird, also schon immer vom vollendeten Prozess her gesehen wird. Es gibt also nicht nur die einfache Wahrnehmung von etwas, sondern von etwas als etwas aufgrund der irriduziblen differenten Einheit von Etwas und Kontext. Im Rauschen erscheint es zunächst so zu sein, dass wir gar nichts wahrnehmen, also nur Kontext. Aber ein Kontext kann gar nicht wahrgenommen werden. Denn sonst wäre er wieder ein Inhalt, eine Botschaft mit einem neuen Kontext. Dasselbe sagt aber auch die Physik, wenn sie weißes Rauschen, das alle anderen Formen des Rauschens enthält, nicht für real hält, sondern für eine Idee, eine Grenzbestimmung, so dass der Vergleich mit dem Lichtspektrum eigentlich falsch ist. Aber das sagt noch mehr aus: die Unmöglichkeit eines Seins, einer Bestimmung, welche die Philosophien erfunden haben, um alle Kontexte aller Kontexte zu erfassen, was nicht möglich sein kann. Der Traum Heideggers, das Sein zu retten und dann den Naturwissenschaften vorzuwerfen, sie wären eben in ihrer Vereinzelung nicht in der Lage zu denken, ist im 21. Jahrhundert ausgeträumt. Dennoch hat die Kunst einen fundamentalen Unterschied im Verständnis von Rauschen, der zwischen einer nicht existierenden Grenzbestimmung des Seins und dem Glauben der Techniker an störfreie Botschaften liegt.

Wenn Rauschen nicht die Verhinderung der Botschaft ist, wie die Techniker glauben, sondern der Effekt von Botschaften, die sich unendlich überlagern, dann ist der Unterschied zwischen Kontext und Inhalt nur der Artikulation von Botschaften in einer Gestalt und Anordnung von Botschaften, Botschaften die in den Vordergrund treten und Inhalt werden vor den in den Hintergrund gedrängten möglichen Botschaften. Der Kontext der Information ist dabei gleichsam das Rauschen der Botschaften, die jeweils den Horizont für eine bestimmte Botschaft darstellt. Diese Art der Auffassung des Rauschens ist also nicht einfach das zu Verhindernde, um Botschaften rein zu halten, sondern es geht um die Artikulation der Botschaften, von denen einige in den Hintergrund, andere in den Vordergrund als Inhalt gestellt werden. Das ist ja genau hier der Fall: die in er Zeit erfahrbaren Unterschiede im Rauschen ergeben für uns skulpturale Zeiten, die wir als Löcher, Täler, abfallende Ströme wahrnehmen, wenn ein Rauschen in den Hintergrund rückt, das andere in den Vordergrund. Für Kunst gilt also umkehrt zu den Technikern, eine Botschaft die keinerlei Rauschen mehr enthält, ist keine Information mehr, also auch keine Kunst. Die Kunst braucht den Anteil an unverständlichem Rauschen, um Botschaften hervortreten zu lassen, sonst hört sie auf und gerät eben zum bloßen Komfortrauschen. Kunst ist kein Komfort im Hotel zum fröhlichen Sein.


Prof. Dr. Thomas Becker
In: Wommelsdorf und Schulz zum Quadrat, Städtische Galerie KUBUS, Landeshauptstadt Hannover, LASERLINE Druckzentrum, Berlin 2019