Kinder, wie die Zeit vergeht! Erst kürzlich habe ich in der Ausstellung Klangraum Flensburg auf dem Museumsberg Heiko Wommeldorf als einzigen Studenten in einer umfangreichen Reihe arrivierter Klangkünstlerinnen und Klangkünstler vorgestellt. Erst kürzlich, das war 2007 noch unter dem Direktorat von Dr. Schulte-Wülwer. Heute begrüßen wir Heiko Wommelsdorf als ebenso arrivierten Klangkünstler aus der ersten Reihe der Klangkunstszene, während einige seiner Lehrer von damals, genau wie ich, schon im Rentenalter sind. Heiko hat in der Zwischenzeit eine beachtliche Karriere hingelegt, mit einer Liste von Ausstellungen und Beteiligungen, Stipendien, Publikationen und Lehrverpflichtungen an Hochschulen, die darauf schließen lässt, dass er nicht nur ein Workaholic, sondern ein überaus konzentrierter und effektiver ebenso wie kreativer Arbeiter auf dem Gebiet der Klangkunst ist. Deshalb freut es mich, dass er mich gebeten hat, diese Ausstellung zu eröffnen, obwohl es berufenere Kolleginnen und Kollegen gegeben hätte, wie aus den erschienenen Texten über ihn und seine Werke sichtbar wird, die Sie, meine Damen und Herren, auf seiner ebenso sicher funktionierenden Webseite heikowommelsdorf.de nachlesen können.

Damals haben wir in der Ausstellung Klangraum Flensburg, die sich außer auf dem Museumsberg über das ganze Stadtgebiet verteilte, Klangobjekte, Klanginstallationen und Klangperformances von Ulrich Eller, Katja Kölle, Ferdinand Försch, Gudrun Wassermann, Andreas Oldörp, Ute Wassermann, Gordon Monahan, Tilman Küntzel und vielen anderen mehr gezeigt, die ein breites Spektrum der Klangkunstszene zu Gehör brachten. Materialien, kleine Roboter, elektrische und elektronische Geräte, klingende Steine, sogar unhörbare Frequenzen, klingende Alltagsobjekte und klingende Luftsäulen, Klangkompositionen und neu gebaute Klanginstrumente führten in die Welt dieser Kunstszene ein, die sich vor allem mit Klängen und Geräuschen beschäftigt, die wir sonst im Alltag ausblenden, verdrängen, bewusst eliminieren oder gar nicht erst wahrnehmen. Bewusst zu Gehör gebracht oder im Fall unhörbarer Frequenzen sichtbar gemacht, dienen diese Arbeiten dem Verständnis der Welt, genau wie alle anderen Kunstgattungen, Malerei, Bildhauerei, Installation, Objektkunst, Performance und so weiter, auch.

Heiko Wommelsdorf zeigte in der damaligen Ausstellung, wie Sie sich vielleicht erinnern, Arbeiten, die Geräusche auf mehrschichtige Weise ins Bewusstsein rückten. Er installierte in einer historischen, nicht mehr funktionsfähigen Wanduhr in einer Bauernstube des Museums eine vierspurige Audiokomposition, die das Ticken einer Uhr, ein von menschlicher Stimme gesprochenes „Tick“ und ein ebenso gesprochenes „Tack“ sowie die verflossene Zeit hörbar bzw. erlebbar machte. In der benachbarten Bauernstube war aus Lautsprechern, sobald jemand die Stube betrat, das Knarren der Dielenbretter zu hören und zwar von einer gar nicht vorhandenen Person, sodass man sich erschreckt umwandte. Das wiederum wurde von einer abgespielten Aufnahme der eigenen, selbst verursachten knarrenden Dielengeräusche überlagert, was die Verwirrung noch steigerte. Schon damals wurde deutlich, dass Wommelsdorf nicht nur stur analysiert und gestaltet, sondern auch eine diebische Freude an Verwirrung und Humor hat. Seinen Hang zur Ironie hat er sich bewahrt, wie die nervtötende Installation in der heutigen Ausstellung, „Musik für Nachbarn“, mit wummernden Schallplattentönen in Endlosschleife und direkt an der Wand zu den fiktiven Nachbarn installierten Lautsprechern beweist, die er mit dem ebenso nervtötenden Wunsch „Auf gute Nachbarschaft!“ garniert.

Klangkunst, meine Damen und Herren, ist noch gar nicht so lange im Bewusstsein der Öffentlichkeit, obwohl es sie schon lange gibt. Während meiner Studienzeit ab Mitte der 1970er-Jahre beschäftigte sich die traditionelle Kunstgeschichte ausschließlich mit Malerei, Graphik, Bildhauerei und Architektur. Erst in den 1980er-Jahren begann man sich ernsthaft mit Objektkunst, Rauminstallationen, Performance, Fotografie, Land Art und später mit Medienkunst zu beschäftigen, während Klangphänomene den Musikwissenschaften und vor allem der Neuen Musik zugeordnet wurden. Das änderte sich grundlegend, als die Berliner Akademie der Künste 1996 ein großes Internationales Festival für Hören und Sehen unter dem Titel sonambiente veranstaltete und mit rund 70 Klangkünstlerinnen und Klangkünstlern und 17 Sonderprojekten ein umfassendes Spektrum der Klangkunstszene präsentierte.

2001 wurde einer der beteiligten Künstler, der aus Dithmarschen stammende Ulrich Eller, als Professor für Klangskulptur und Klanginstallation zunächst an die FH Hannover berufen und etablierte dieses Fach schließlich von 2004 bis 2020 an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Dort und bei ihm studierte Heiko Wommelsdorf und schloss sein Studium 2012 als Meisterschüler bei Ulrich Eller ab. Von 2002 bis 2012 wurde in Marl im Skulpturenmuseum Glaskasten der Deutsche Klangkunstpreis, eine Auszeichnung für künstlerisch herausragende, raumbezogene Klangschöpfungen vergeben. 2006 fand wiederum in Berlin die zweite sonambiente Klangkunst- oder Soundart-Ausstellung wieder mit mehr als 50 Künstlerinnen und Künstlern und Projekten statt. Beteiligte aller dieser erwähnten Veranstaltungen und Preise, unter ihnen Ulrich Eller, waren auch seinerzeit in Flensburg zusammen mit Heiko Wommelsdorf vertreten. Ich erwähne das hier so ausführlich um zu zeigen, dass wir es bei der Klangkunst zwar mit einer vergleichsweise neuen Kunstgattung zu tun haben, dass Heiko Wommelsdorf sich aber auch in einer sehr lebendigen Kunstszene bewegt, die in den letzten dreißig Jahren bereits Traditionen herausgebildet hat.

Heiko Wommelsdorf studierte an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel und an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und hat sich in den Die Anfänge der Klangkunst oder der Sound Art, also der Kunst mit Klängen und Geräuschen, reichen bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Vermutlich waren die italienischen Künstler des Futurismus die ersten, die versuchten, nicht nur den Lärm der Großstadt in Gemälden darzustellen, sondern Kunstobjekte zu bauen, die Krach machen konnten. Aber erst mit der Entwicklung der ersten kinetischen Objekte durch Marcel Duchamp und die Weiterentwicklungen des Bauhauses, wir denken an das „Triadische Ballett“, wurde mechanischen Klangobjekten der Weg geebnet. Vergessen wir nicht die Kunstbewegung DADA, in der das 40 Minuten dauernde Klang-Bild „Sonate in Elementaren Klängen“ von Kurt Schwitters oder Lautgedichte wie „Gadji beri bimba“ 1916 von Hugo Ball entstanden. Einen großen Sprung macht die Klangkunst, seit der Komponist John Cage 1940 zum ersten Mal ein Klavier präparierte. Seine „Living Room Music“ aus demselben Jahr sah als Ersatz für ein Schlagzeugensemble die Gebrauchsgegenstände eines Wohnzimmers vor. Edgar Varèse experimentierte schon 1938 mit der Geschwindigkeit von Schallplattentellern. Nam June Paik entwickelte auf dem Gebiet der bildenden Kunst, Mauricio Kagel Anfang der 1960er-Jahre für die Neue Musik Partituren für elektronische und öffentliche Klänge. Rolf Julius schuf in den 1970er-Jahren die bis heute klassischen Lautsprecher-Installationen. Also auch bei den einzelnen Werken der Klangkunst – wie hier bei Heiko Wommelsdorf – erleben wir eine junge Kunst mit bis zu einhundert Jahre zurückreichenden Traditionen.

Klangkunst fordert die Ausstellungsbesucher auf oftmals ungewohnte Weise, gIn unserer Zeit, meine Damen und Herren, ist die aktuelle Kunstszene erneut stark in Bewegung. Junge Künstlerinnen und Künstler überschreiten in rasanter Geschwindigkeit die traditionellen Kunstgattungen, mischen Malerei, Graphik, Video, Objektkunst, digitale und internetbasierte Kunst, Maschinen, Sound Art, Alltagsobjekte und an Materialien (um uns wieder auf Wommelsdorf zu konzentrieren:) Mobiliar, Schallplatten, Lautsprecher, Grafik und Trockenfliegen wie man sie zum Fliegenfischen verwendet, analoge und digitale Fotografie, Lochstreifen, Bildschirme, Dämmplatten, Metallprofile, Spieluhren, Lüftungsschächte und so weiter um sie zu hybriden Kunstwerken zu verbinden, sodass wir traditionellen Kunsthistoriker vor der Aufzählung der verschiedenen Techniken und Materialien inzwischen kapitulieren und einfach „Multimedia“ schreiben.

Wenn Sie gleich zum Tresen gehen, sehen Sie eine Auswahl der großen Anzahl von Publikationen, die in den letzten Jahren über Heiko Wommelsdorfs künstlerisches Schaffen entstanden sind. Hier ist einerseits die umfassende In Gruppenausstellungen wie der gerade zu Ende gegangenen Nordwestkunst 2023 in der Kunsthalle Wilhelmshaven, an der auch Heiko Wommelsdorf teilgenommen hat (Sie werden gleich hören mit welcher Arbeit) heißt es dann: „Surrealistisch anmutende Installationen und Videos, entspannte Malerei im Sitzsackformat, basslastige ‚Musik für Nachbarn‘ oder eine Hüpfburg als White Cube, junge Medienkunst, eigens geschaffene Arrangements und das Neudenken traditioneller Techniken“. Was Wommelsdorf auf seiner Webseite ganz klassisch als „Klanginstallationen“ beschreibt, würde in solchen Gruppenausstellungen eher als „Medienkunst“ wahrgenommen, wie etwa seine „Musik für Fliegen“ bestehend aus einem Bildschirm, Mikrofon, Lautsprecher, Abspieltechnik und Spektrogramm-Software, für die er Musik so bearbeitet hat, dass sie von ihren Tonhöhen her nur noch (Sie hören richtig) von Fliegen wahrgenommen werden könnte, wobei er sie für uns Menschen mithilfe von Spektrogrammen auf dem Bildschirm sichtbar macht.

Bei seiner neuesten Arbeit „TV Phase online“ in der internetbasierten Ausstellung Der vierte Raum des Kulturzentrums Frappant in Hamburg-Altona können Sie im Internet und nur dort 24 Online-Videoplayer ansteuern, in denen Tonstörungen von alten Röhrenfernsehern nicht nur hörbar und sichtbar gemacht werden, sondern sich auch zur Partitur eines vom Künstler kreierten Notensystems zusammensetzen (erinnern Sie sich an die neuartigen Partituren von John Cage). Bei Wommelsdorf haben wir also Internet-Kunst, die sich ausrangierte Alltagsgegenstände, nämlich in diesem Fall Röhrenfernseher, zunutze macht. Auch von seiner Ausbildung her bewegt sich Wommelsdorf hierbei auf sicherem Terrain, denn er studierte vor seinem Klangkunststudium in Braunschweig bereits von 2006 bis 2009 Medienkunst an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel.

Andere Arbeiten wie Installationen mit Thermohygrographen, also Geräten, wie wir sie aus Museen kennen und die dort Temperatur und Luftfeuchte dokumentieren, würde ich persönlich eher als Konzeptkunst bezeichnen. In früheren Zeiten, als man streng voneinander abgegrenzte Kunstgattungen bevorzugte, hätte man dabei auf Grenzüberschreitungen verwiesen. Heute sind wir weiter und bewerten mit Respekt, wie weiträumig und kreativ der Künstler die Klangkunst auf bisher nicht beachtete Bereiche erweitert. Denn auch die Thermohydrographen machen Geräusche, während sie gleichzeitig graphische Kunstwerke auf Papier produzieren.

Ab 4. Mai, also ab der kommenden Woche, zeigt Wommelsdorf an einem Ausstellungsort der Muthesius-Hochschule in der Kieler Innenstadt unter dem Titel „schall-mauer“ eine Installation mit Akustik-Dämmplatten, an denen ein Schallpegelmesser Umweltgeräusche als Messwerte in einer digitalen Anzeige wiedergibt. Tatsächlich gibt es auch andere Arbeiten von ihm – denken Sie an die Fliegen – in denen Geräusche oder Klänge nicht hörbar sind, sondern durch Messwerte und Graphen sichtbar gemacht werden. In seiner Kieler Arbeit werden wir mit den Belastungen der Umwelt, nämlich mit einem Mix aus Straßenlärm, Lüftergeräuschen, trappelnden Schuhsohlen und sich unterhaltenden Menschen auf der Ebene von Dezibel-Messwerten konfrontiert.

Die heutige Ausstellung bei Kunst&Co ist in gewisser Weise ein Heimspiel für Heiko Wommelsdorf, der in Bremen geboren wurde und heute in Hamburg-Bahrenfeld ansässig ist. Denn er hat vor seinem Studium an der Muthesius Kunsthochschule von 2002 bis 2005 eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Holzbildhauer in Flensburg an der Berufsfachschule Holzbildhauerei absolviert. Er war dann nicht nur 2007 an der Ausstellung Klangraum Flensburg beteiligt, sondern zeigte seine Arbeiten auch im selben Jahr 2007 und 2011 im KKI-Laboratorium der Kunstbaustelle in der Alten Schule Duburgerstraße, in der Alten Bank in der Neustadt und schließlich ebenfalls in der Neustadt im vergangenen Jahr im ehemaligen Sultanmarkt. 2019 war er mit einem Klangkunst-Workshop für junge Leute und bei der Langen Nacht der Museen auf dem Museumsberg beteiligt. In dieser Woche hat er hier bei Kunst&Co ein Künstlergespräch mit Studierenden der Abteilung Kunst und visuelle Medien der Europa Universität Flensburg zum Thema „Klang in der bildenden Kunst“ abgehalten.

In der heutigen Ausstellung zeigt er einen Querschnitt durch neueste Arbeiten, bei denen auch vielfältige Verweise zu seinen anderen Werken sowie zu Kunstströmungen und zur Kulturgeschichte bis weit ins 20. und sogar tief ins 19. Jahrhundert sichtbar werden. Werke der Klangkunst, also künstlerische Arbeiten, die sich mit Klängen von Materialien, mit Klängen und Geräuschen aus dem Betrieb von mechanischen, elektrischen oder elektronischen Geräten oder dem Hintergrundrauschen beschäftigen, das sich ohne unser Zutun in der Umwelt befindet, benötigen eines mehr, ohne welches sie nicht existieren können: den sie umgebenden Raum, der auch als Resonanzraum fungiert. Aus diesem Grund kann man natürlich nicht beliebig viele Arbeiten der Klangkunst auf kleinen Flächen präsentieren, weil sie sich sonst gegenseitig übertönen würden.

Nicht zuletzt aus diesem Grund zeigt Wommelsdorf hier im unteren Raum in der Nähe zur wummernden „Musik für Nachbarn“ auch zwei stille Werke der Klangkunst: Seine Arbeit „Trockenfliegen“, erstmals im vergangenen November in Bremen in der eintägigen Ausstellung „Ein Tag Fliege“ gezeigt, besteht aus künstlichen Fliegen vom Fliegenfischen und einer auf Fotopapier gedruckten Grafik, die den Dezibelwert der bei entsprechenden Insekten gemessenen Lautstärke wiedergibt. Schon hier verbinden sich verschiedene Kunstgattungen: Objektkunst, Grafik und Konzeptkunst zu einem „stillen“ Klangkunstwerk. Die Arbeit „Trommelfelle“, die Einblicke in die Gehörgänge des Künstlers zeigt, verbindet Fotografie und Wissenschaft. Beide Arbeiten hat Wommelsdorf im Februar/März dieses Jahres in der Gemeinschaftsausstellung symbiosis von Künstlerinnen und Künstlern zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Schauraum am Bahnhof Altona gezeigt.

Geradezu klassische Klangobjekte verwendet der Künstler in seinen Arbeiten mit Spieluhren und Walzenspieldosen, die interaktiv die Mitarbeit der Besucherinnen und Besucher, also von Ihnen, meine Damen und Herren, erfordern. Spieluhren mit angerissenen Metallzungen wurden schon Ende des 18. Jahrhunderts für Taschenuhren erfunden. Wommelsdorf programmiert sie hier mit künstlerisch gestalteten Lochstreifen-Loops, wobei Lochstreifen – heutzutage bekanntlich außer Gebrauch gekommen – auch schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts zur Darstellung und Speicherung von Daten dienten. Je nach Intention der Besucher können die Loops von Hand abgespielt werden.

Bei der Installation „Spieluhren“ hingegen hat der Künstler die vorgefertigten Melodien von käuflichen Walzenspieldosen durch Entfernen einiger Klangstäbe so verändert, dass die ursprünglichen Lieder nicht mehr zu erkennen sind. Durch Ziehen an den Schnüren, die die Aufzugswerke in Gang setzen, können Sie, meine Damen und Herren, mehrere Spieldosen kombinieren. Ähnlich wie bei der internetbasierten Arbeit „TV Phase online“, bei der man gleichzeitig verschiedene Player ansteuern kann, werden Sie auch hier zu Instrumentalisten und lassen – allerdings analog und händisch – neue Kompositionen entstehen.

Auch die schon mehrfach erwähnte Arbeit „Musik für Nachbarn“ zeigt deutliche Rückbezüge ins 20. Jahrhundert. Die Musiktruhe und der Schallplattenspieler mögen in die 60er- bis 80er-Jahre verweisen. Die gespielte Schallplatte „Illegal Loopz“ von 1999 diente ursprünglich dem Gebrauch von DJs, die mit Tönen in Endlosschleifen die Zeit zwischen zwei Musikstücken überbrückten. Auch kunsthistorisch macht die Arbeit Anleihen im 20. Jahrhundert, etwa bei den Wohnzimmer-Environments von Claes Oldenburg vom Anfang der 60er-Jahre, an deren ironischer Sinnlichkeit sie sich orientiert, ebenso wie bei den Lautsprecher-Installationen von Rolf Julius aus den 1990er-Jahren, einem der unbestrittenen Klassiker der Klangkunst, oder von Ulrich Eller, bei dem sich zur selben Zeit ganze „Lautsprechergewächse“ über Fußböden und Galeriewände erstreckten.

Auf der oberen Ausstellungsebene thematisiert der Künstler das Thema „Rauschen“ mit zwei Arbeiten, die er für den vergleichsweise kleinen Raum hier bei Kunst&Co modifiziert hat. Aus abgehängten Deckensegmenten wird weißes Rauschen, also ein höhenbetontes Geräusch wie es in den Ingenieur- und Naturwissenschaften verwendet wird, von Richtlautsprechern auf den Boden und wieder zurück reflektiert. Bei der Bewegung durch den Galerieraum wird das Rauschen unterschiedlich wahrgenommen, ähnlich wie es auch in der Natur beim Rauschen von Wasser oder Wind geschieht.

Die Arbeit „Lüftungsschacht“, die Sie schon auf der Einladungskarte gesehen haben, hat Wommelsdorf für die heutige Ausstellung so verändert, dass sie horizontal auf die obere Galeriewand passt. Solche Teile industrieüblicher Lüftungsanlagen erinnern an Alltagsformen, die wir meist übersehen, vielleicht an Ready-mades wie sie Marcel Duchamp entwickelte oder an Skulpturen des Minimalismus, wie sie Donald Judd oder Sol Lewitt zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren als „Wahrnehmung pur“ oder als „sinnlichen Reiz asketischer Systeme“ gestaltet haben. Das aus diesem „Lüftungsschacht“ dringende Rauschen könnte von Ventilatoren oder von Lautsprechern stammen, oder Wommelsdorf hat tatsächlich die Wand dahinter aufgestemmt und das von Kunst&Co schon so lange ersehnte Lüftungssystem installiert. Die Lösung werde ich Ihnen jetzt nicht verraten, denn auch Werke der Klangkunst müssen einen letzten Rest an Geheimnis bewahren.

Begrüßen Sie bitte Heiko Wommelsdorf, meine Damen und Herren.


Dr. Axel Feuß
Eröffnungsrede am 28.4.2023 im Kunst&CO Flensburg