Es summt im Glas. Heiko Wommesdorf hat den Tag in Pinneberg genutzt, um sich mit Fliegen als Klangerzeuger zu beschäftigen. Er ließ seinen Sohn mehrere Fliegen fangen, hielt die für kurze Zeit im Glas fest, um ihre Geräusche aufzuzeichnen. Dann wurden alle Tiere wieder in die Freiheit entlassen. Im Pavillon hatte er mehrere Einweckgläser verteilt aufgestellt. In manchen befand sich eine Fliege, in anderen ein Lautsprecher mit dem Klang von Fliegen. Diese Installation nannte er „Eintagsfliege“, in Anlehnung an das eintägige Stipendium.
Wie sieht eigentlich eine Ein-Tags-Fliege aus? So viel sei verraten: Nicht wie die Stubenfliege. So spielt Heiko Wommelsdorf immer wieder mit Erwartungen und vermeintlichem Allgemeinwissen. Statt mit Pinsel und Farben auf Leinwänden die Augen zu täuschen – hier sei ein Raum, dort eine Pflanze oder ein Tier – nutzt er Klänge und Elektrotechnik, um uns Lebewesen und Räume vor Ohren und Augen zu stellen.
In der gemeinsamen Ausstellung zeigt Heiko Wommelsdorf die weniger raumgreifende Arbeit „Dies ist keine Fliege“. Was ist es denn dann? Hinweise geben die Bücher unter dem Glas. Beim Blick von oben auf den Bücherstapel lugt ein Cover hervor. Zu sehen ist eine Staffelei mit René Magrittes Arbeit „Ceci n’est pas une pipe“. Dies ist keine Pfeife, steht unter dem Bild einer Pfeife. Denn das Bild einer Pfeife ist nicht dasselbe wie das Objekt Pfeife. Augentäuschende Malerei hat eine lange Tradition. Ohrentäuschend Klangkunst produzieren Menschen ebenfalls sehr lange, zum Beispiel beim Imitieren von Tierlauten.
Die Fliege als Objekt künstlerischer Auseinandersetzungen ist im Bücherstapel mit zwei Publikationen vertreten: Im Katalog „The Life of Fly” finden sich Zeichnungen von Magnus Muhr. Sie erinnern an Comics. Doch statt Menschen handeln hier Fliegen. Das wirklich Sonderbare ist: Es sind echte, tote Fliegen. In dem Katalog finden sich Fotos von diesen düsteren Fliegen-Comics. Der Band „Eine Fliege mit zwei Klappen“ von Thomas Judisch dreht das Sprichwort: Zwei Fliegen mit einer Klappe, um. Der Künstler arbeitet immer wieder mit Augentäuschungen. 2020 legte er hier in Pinneberg einen vermeintlichen Fußball mit herausgelassener Luft auf den Rasen.
Um Luft geht es auch im Buch „HiFi, Ultraschall und Lärm. Die Welt des Schalls“. Die erste Ausgabe erschien 1973. Der Band beschäftigt sich mit der physikalischen Seite von Schall – von der Luft bis ins Ohr. Schall – Klang – Kunst. So der Dreiklang auch in dieser Installation. Der Band „Klangkunst“ ist eine Bibel für Einsteiger zum Thema. Die Musikwissenschaftlerin Helga de la Motte-Haber hat ihn 1996 herausgegeben zum Sonambient Festival in Berlin.
Schlussendlich gibt es ein Buch von Heiko Wommelsdorf selbst. Der Katalog „Thermohygrograph“ enthält Feuchtigkeitskurven, wie sie in Museen und Galerien aufgezeichnet werden. Hinter dieser spröden Arbeit steckt auch die Frage: Wie kann man Ausstellungen dokumentieren? Heiko Wommelsdorf hat seinen Weg inzwischen gefunden: Fotos, Videos, Texte und manchmal auch Kurven von einem Thermohygrographen. Wer die Installation „Eintagsfliege“ am Stipendientag nicht vor Ort besucht hat, kann sich auf der Internetseite des Künstlers einen Eindruck mit Augen und Ohren verschaffen.
Dr. Franziska Storch
Eröffnungsrede am 28.09.2024 im Forum: PAVILLON Pinneberg