Heiko Wommelsdorf hört zu. Und zwar sehr genau. Dort wo unser Gehirn eigentlich störende oder vermeintlich unwichtige Geräusche ausblendet, zu Gunsten wichtigerer Informationen filtert, versucht er genau diesen Mechanismus abzustellen. Die Hierarchie der Geräusche, die Unterscheidung zwischen wichtig und unwichtig, Vordergrund- und Hintergrundgeräusch, hebt Wommelsdorf in seinem künstlerischen Schaffen aus den Angeln. Ihn interessieren besonders die Elemente in seiner Umwelt, die normalerweise zum Übersehen und Überhören verdammt sind. Im Rahmen seiner wiederkehrenden Auseinandersetzung mit dem Thema Ausstellungsraum etwa, sind es weniger die bei einem Besuch in einer Ausstellung hängenden Kunstwerke sondern vielmehr das Knarren des Dielenbodens, das Gluckern der Heizkörper oder das Surren der Lüftungsanlage, denen er seine Aufmerksamkeit schenkt – bilden doch all diese nur unterbewusst wahrgenommenen Geräusche letztlich gemeinsam das Hörerlebnis „Ausstellung“.

Es ist ein eben solches „Nebengeräusch“, das Heiko Wommelsdorf zum Kern seiner Ausstellung „Räume“ bei uns in der Galerie in der Wassermühle Trittau gemacht hat. Vielleicht lauschen wir noch einmal gemeinsam darauf? Es ist das stetige Ticken des Thermohygrographens, den wir hier und im Raum nebenan sehen und hören können. Der Thermohygrograph ist ein Hintergrundobjekt par excellence: Besucher größerer Ausstellungshäuser ist der Anblick der technisch komplex anmutenden Geräte vermutlich bekannt. Zwischen der Betrachtung von Rembrandt und Rubens streift der Blick mitunter ein derartiges Gerät, nur um nach leichtem Wundern – was soll das eigentlich? Naja wahrscheinlich irgendwas mit Klima – weiter zum nächsten Meisterwerk zu schweifen. Dabei wird der Besuch auch über diesen kurzen Blick auf das meist möglichst versteckt in der Raumecke platzierte Gerät hinaus akustisch von ihm begleitet: In der Stille der Museumsräume sollte das konstante Ticken eigentlich auffallen, doch wird es als Nebengeräusch vom Gehirn erkannt und als bedeutungslos eingeordnet. Nicht so in dieser Ausstellung! Aus dem akustischen und visuellen Hintergrund befreit wird hier der Thermohygrograph in der Raummitte auf einem Sockel präsentiert, ins Rampenlicht gesetzt und zum Kunstwerk erklärt. Dadurch wird interessanterweise auch das Ticken unüberhörbar.

In dieser wie auch anderen Arbeiten befragt Wommelsdorf das Konstrukt Ausstellung und steht damit in Tradition der Institutionskritik, die in der Kunst seit den späten 60er Jahren stattfindet. Wommelsdorf interessieren dabei besonders die Räume, in denen Kunst gezeigt wird und bindet sie in seine Arbeit ein, macht sie selbst zum Gegenstand. In seinem Werk „Thermohygrograph“ wird dies deutlich: Die ausgestellten Thermohygrographen sind nicht nur Ausstellungsobjekte, sie sind gleichzeitig nach wie vor ihrer Funktion nach Messgeräte. Sie erfassen und dokumentieren die Lufttemperatur und die relative Luftfeuchtigkeit des sie umgebenen Raumes während eines abgesteckten Zeitraums. Wir haben es hier also mit einem noch in der Entstehung befindlichen Kunstwerks zu tun, da während der gesamten Ausstellungsdauer die Atmosphäre des Raums festgehalten wird. Dabei entstehen Graphiken, wie wir sie auf den uns umgebenen Wänden aus vergangenen Ausstellungen sehen: Messaufzeichungen auf Registrierpapier. Die Besucher der Ausstellung werden somit Teil des Kunstwerks: Jede Veränderung des Klimas, also jedes Tür-auf-Tür-zu, die Anwesenheit von mehreren Personen gleichzeitig, das Ausschütteln von klammen Mänteln usw., fließt in die Aufzeichnung ein. Wir können sicher sein, dass wir just in diesem Moment die Kurve zum ausschlagen bringen.

Die Ausstellung setzt sich nebenan im Atelierhaus fort: dort befinden sich zwei weitere Werke von Heiko Wommelsdorf, bei denen viel deutlicher als bei diesen Arbeiten der Sound im Vordergrund steht. Die Arbeit „Shepard“, die an der langen Fensterfront zu sehen ist, gibt Laute von sich, die zunächst an entfernte Sirenen denken lassen. Fünf Lautsprecher hängen in abwechselnder Höhe und abwechselnd nach oben oder unten gerichtet nebeneinander. Akustisch nehmen wir einen wellenförmigen Tonverlauf wahr. Wommelsdorf inszeniert hier allerdings eine akustische Täuschung: aus den nach unten gerichteten Lautsprechern ertönt ein ewig fallender Sinuston und aus den nach oben gerichteten Lautsprechern ein ewig steigender Sinuston – erst durch ihr Zusammenspiel im Raum entsteht der von uns gehörte Wellenverlauf. In der Bewegung zwischen den einzelnen Lautsprechern kann die tatsächliche Klangquelle zugeordnet werden – versuchen Sie es gleich gerne einmal! In der Arbeit kommt es zur Verknüpfung zwischen visuellen und akustischen Elementen, zu einem Dialog zwischen Klang und Form: die gehörte Welle ist auch in der Hängung der Lautsprecher optisch nachvollziehbar.

Das letzte Werk dieser Ausstellung, „In-Ear“, breitet sich auf dem Betonboden im Atelierhaus aus: 128 in-ear-Kopfhörer leiten die Klänge eines Countrysongs aus einem kleinen Ipod-Shuffle in den Raum. Wegführend vom Abspielgerät verästeln sich die Kabel immer weiter bis zu den kleinen Kopfhörern. Eigentlich zum diskreten Musikhören, abgeschirmt von der Umwelt, gedacht, erzeugt die Vielzahl der Kopfhörer schließlich einen auch aus einiger Entfernung wahrnehmbaren Sound. Wommelsdorf zitiert mit dem Aufbau von „in-ear“ eine Arbeit des Bildhauers Thomas Rentmeister, der 1985 eine ähnliche Verästelung mit Dreifachsteckdosen herstellte. Er fügt Rentmeisters Arbeit dabei eine klangliche Dimension hinzu. Den abgespielten Countrysong wählte Wommelsdorf übrigens auf Empfehlung von „DJ Rentmaster“ aus.

Heiko Wommelsdorf studierte an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel und an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Vertreter der Klangkunst entwickelt. Klangkunst ist eine Kunstform, die verhältnismäßig jung ist – zwar hat sie ihre Ursprünge im Dada, Futurismus, Surrealismus und später im Fluxus, doch als eigenständige Kunstform tritt sie erst in den 80er Jahren in Deutschland in Erscheinung.

Klangkunst fordert die Ausstellungsbesucher auf oftmals ungewohnte Weise, gibt ihnen aber auch das Angebot, Gewohntes neu und anders zu erleben – dazu möchte ich Sie heute gerne ermutigen!

Wenn Sie gleich zum Tresen gehen, sehen Sie eine Auswahl der großen Anzahl von Publikationen, die in den letzten Jahren über Heiko Wommelsdorfs künstlerisches Schaffen entstanden sind. Hier ist einerseits die umfassende Publikation zu erwähnen, die im letzten Jahr zum Abschluss seines Stipendiums der HAP-Grieshaber Stiftung Reutlingen im Kehrer Verlag erschienen ist. Zum anderen weise ich natürlich mit Vergnügen auf den Katalog hin, der zu dieser Ausstellung erschienen ist und sich, wie ich gesehen habe, schon allein farblich von den anderen abhebt!

Lieber Heiko, wir freuen uns sehr über die gute Zusammenarbeit und über die gelungene Ausstellung – hab vielen Dank für beides.

Ihnen, liebe Gäste, wünsche ich nun viel Freude beim Hinhören und Erkunden. Und wenn Sie mögen, kommen Sie wieder und bringen Sie die Thermohygrographen erneut zum Ausschlagen!


Julia Kölle
Eröffnungsrede am 21.1.2017 in der Galerie der Wassermühle Trittau