Heiko Wommelsdorfs akustisch-skulpturale Wahrnehmungssensibilisierungen

Vom Kunst betrachtenden Blick meist ausgeblendet, höchstens en passant aus dem Augenwinkel erfasst, verrichten Thermo-Hygrometer im Museum ihre diskrete Klimamessung. Wie Ausstellungsgegenstände auf weißen Sockeln platziert verschmelzen sie unauffällig mit ihrer Umgebung. Schwingungsaufzeichnungen registrieren auf rotierenden Papierrollen die kaum merklich wechselnde Beschaffenheit von Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit. Indirekt fangen sie auch die Bewegungen des Publikums ein. Das Öffnen und Schließen von Türen, die Ballung oder Auflösung einer Menschenmenge lässt sich aus den klimabedingten Kurvenverläufen im Millimeterraster der Messzylinder ebenfalls ablesen. Das Sehverhalten der Besucherinnen und Besucher einer Ausstellung ist dem Raum als unsichtbare Information eingeschrieben: Das Thermo-Hygrometer macht Letztere sichtbar. Die beiläufigen Gerätschaften unserer (musealen, institutionellen, urbanen) Interieurs, die samt ihrer Feinstgeräusche im Raum verschwinden, rückt Heiko Wommelsdorf mit seinen klang-skulpturalen Eingriffen gezielt in den Fokus.

Der 1982 geborene Künstler, der an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel (unter anderem bei Thorsten Goldberg und Arnold Dreyblatt) und an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig (als Meisterschüler von Ulrich Eller) Medien- und Klangkunst studierte, ist den Erscheinungen und Klängen an den Rändern des (Raum-)Geschehens auf der Spur. Das sachte Rauschen von Lüftungsapparaturen, das kaum vernehmliche Surren von Lichtkörpern, das zarte Ticken von Thermo-Hygrometern: Dies sind die reduzierten Soundtracks, die in Wommelsdorfs minimalistischen räumlichen Interventionen zur Anschauung kommen, während umgekehrt dezente optische Phänomene wie das Flackern einer Leuchtröhre in Klang übersetzt werden. Dieses synästhetische, visuell-akustische Zusammenspiel durchzieht leitmotivisch das gesamte bisherige Werk des Künstlers, der auch den Raum selbst als Resonanzkörper vor Augen führt und immer wieder den Blick auf übersehene Details lenkt: auf Heizkörper, Lüfter und Lüftungsgitter oder ebenjene Thermo-Hygrometer, die er als skulpturale Readymades – allerdings nicht mehr als Beiwerke zum Eigentlichen, sondern nunmehr als eigenständige Kunstwerke – aus dem Kunstkontext in ebenjenen wieder zurückführt.

In der aktuellen Ausstellung in der Wassermühle Trittau setzen sich die Klimakurven des zur Skulptur gewordenen Messgeräts in der visuellen Wellenbewegung eines Lautsprecherensembles sowie im akustisch ineinander greifenden Auf und Ab synthetisierter Sinustöne fort. Ein Bündel von Miniaturlautsprechern wiederum, die sich bei jeder Kabelabzweigung vervielfältigen und allesamt aus einem MP3-Player gespeist werden, zitiert eine frühere Arbeit des Bildhauers Thomas Rentmeister von 1985, wobei die Ausgangsfassung als visuell-plastische Potenzierung ineinander greifender Dreifachstecker gestaltet ist. Wommelsdorf transponiert Rentmeisters Skulptur in die klangliche Dimension und integriert darin einen von dem Künstler dafür empfohlenen (Country-)Song. Die Phasenverschiebung, die als akustische Figur vielen Installationen von Wommelsdorf zugrunde liegt, zeigt sich auch als räumliches Phänomen der blick- und gehörerweiternden Perzeptionsstörung. Dabei geht es grundsätzlich um eine Sensibilisierung der Wahrnehmung: Diese verläuft durch die Zentralisierung des Peripheren und durch Sicht- und Hörbarmachung dessen, was sonst der Aufmerksamkeit entgeht. Die Hervorhebung des Marginalen fordert zum Innehalten auf. Schauen, genau hinhören, die Tiefe des Augenblicks erfahren, die dem Alltäglichen als poetische Möglichkeit innewohnt: Wommelsdorfs Evokationen des größeren Bildes im kleinen Ereignis eröffnen Aussichten auf das so noch nicht Gesehene und setzen das Unerhörte im leisen, unbemerkten Klangraum des Gewohnten frei.


Belinda Grace Gardner
In: Heiko Wommelsdorf – Räume, Sparkassenkulturstiftung Stormarn, Gudberg Nerger GmbH, Hamburg 2017