Heiko Wommelsdorf (*1982) geht in seiner künstlerischen Arbeitsweise Fragen nach Klang besonders in alltäglichen Situationen und Umgebungen nach, die er zum Material wie auch Inhalt seiner Arbeiten erhebt. Genaue Wahrnehmungen und das Erleben eines Raumes mit all seinen vorhandenen wie implementierten Geräuschen finden hierbei ebenso Eingang wie die Kreation von Klang, beispielsweise durch eine Transformation oder den Einbezug vorgefundener Strukturen und Raumparameter.

Im Kuratorenatelier des Künstlerhauses Schloss Balmoral präsentiert Heiko Wommelsdorf seine Arbeit „Thermohygrograph“ (2016) sowie sechs Grafiken der Serie der Messaufzeichnungen auf Registrierpapier. (Verweis mit den genauen Titeln?) Der Thermohygrograph verbleibt eine Woche lang im Kuratorenatelier und zeichnet die vorherrschende Raumatmosphäre auf. Hierbei ist der Thermohygrograph zugleich Ausstellungsobjekt wie auch aufzeichnendes Messinstrument. Thermohygrographen stellen ein Alltagsobjekt in den Arbeitsabläufen von Museumskuratoren dar und erscheinen dabei doch ebenso nützlich wie auch geheimnisvoll, instrumentell und abstrakt, insbesondere wenn sie in den Privatbereich verschoben werden.

Ein Thermohygrograph misst die Lufttemperatur und relative Luftfeuchtigkeit eines Raumes und zeichnet diese auf einer Skala während einer bestimmten Zeit in seinem Inneren sichtbar auf. Das Instrument gibt dabei ein leises Geräusch von sich, ein Ticken, ähnlich wie bei einem Uhrwerk. Durch den Thermohygrographen wird der Raum des Zeigens hier neu vermessen, die Lebens- und Kunstpräsentationsumstände werden registriert und aufgezeichnet. Die Atmosphäre, in dem das Diskutieren, Ausstellen, Arbeiten und Leben in diesem Raum stattfindet, wird in Echtzeit notiert und die Messkurve dabei real beobachtbar wie eine abstrakte Zeichnung auf Millimeterpapier auf dem Registrierpapier in dem Instrument sichtbar, während die Masseinheiten hörbar verklingen. Zu der visuellen Messung kommt somit eine akustische Verortung dieser Raum-Klang-Installation.

In Anbetracht des Instrumentariums kommen dabei Anleihen an avantgardistische Versuche des autonomen Schreibens oder Zeichnens auf, gehen hier jedoch eine starke Verbindung mit Aspekten der Vermessung und Steuerung unserer (Kunst-)Welt einher und eröffnen somit ein neues Assoziationsfeld. So wird ein physikalisches Messgerät in künstlerischer Geste zum Ausstellungsobjekt ebenso wie zum Material einer klanglich-atmosphärischen Untersuchung umgewidmet. Der Rezipient ist angehalten ihm seine Aufmerksamkeit zu schenken und es seinerseits auszuloten, zu erkunden und die Töne aufzunehmen und zu verarbeiten, die dieses von sich gibt. Der Thermohygrograph sensibiliert die Wahrnehmung, da auf den ersten Blick scheinbar nichts Konkretes wahrzunehmen ist. Und doch bietet er zugleich eine visuelle Komonente an, die geradezu wissenschafltich wirkt. Dabei wird Klang in und durch den Museumsapparat selbst kreiert und der natürliche Geräuschgehalt fokussiert. Die Aufmerksamkeit wird somit auf die Ausbreitung von Schall im Raum gelenkt, auf Töne ebenso wie auf die Luft, die uns umgibt, ohne dass wir sie im Alltag bemerken würden. Jede Veränderung der Luftfeuchtigkeit im Raum – wenn wir beispielsweise die Tür oder gar ein Fenster öffnen ebenso wie wenn wir gegen den Thermohygrographen hauchen oder einen nassen Schirm ausschütteln – wird festgehalten, sodass eine Notation der Raumverhältnisse entsteht. Diese Relationalität stellt das besondere Merkmal von Heiko Wommelsdorfs Arbeit dar.

So tickt das Messinstrument eine Woche lang Tag und Nacht und überwacht die Raumbedingungen des kuratorischen Arbeitens. Mein eigenes Verhalten als Kuratorin in diesem Raum und die Ereignisse in dieser Woche werden dabei von dem Thermohygrographen aufgenommen und alltägliche Begebenheiten, wie das Lüften und Heizen des Raumes oder auch längere Öffnungszeiten der Tür, sowie der Aufenthalt mehrerer Personen im Zimmer ebenso wie die Reparatur der Heizung, lösen unterschiedliche Ausschläge des Instrumentes aus und werden sichtbar registriert. Mein eigenes Alltagsleben und die aktuellen Wohn- und Arbeitsbedingungen prägen also die Notation, die Teil dieser Arbeit ist und zugleich prägt das Aufzeichnungsinstrument mit seiner Klangkulisse meinen täglichen und nächtlichen Alltag eine Woche lang. Für diese Dokumentation stellt sich die Frage, wie die Raumerfahrung mit dem permanenten, rhythmischen Ticken sowie die Aufmerksamkeit auf das Raumklima in genau dieser räumlichen Situation mit seinem bestimmten Hall und Schall sich abbilden lassen könnten, ob nun visuell, sprachlich oder akustisch?

In Bezug auf die Geräusche in einem normalen Museumsraum spricht Heiko Wommelsdorf von einer klanglichen „Komposition aus Störgeräuschen“ (Zitat idea/sound?). Hier wird der Kernpunkt und die Stärke seiner Arbeit deutlich, die Alltagsgeräusche zu komponierten Klangstücken umdeutet und somit eine fokussierte Aufmerksamkeit auf die uns umgebende Klangkulisse forciert. Dabei spielen in der hier diskutierten Arbeit klangliche Erfahrungen eine besondere Rolle, die das Objekt zwischen zweckfreier Kunst, Instrument und Gebrauchsgut aufscheinen lassen und einen Versuch der multisensorischen Auslotung künstlerischer Praxis und kuratorischer Tätigkeit darstellen. Bei dieser wie auch bei allen drei präsentierten künstlerischen Positionen finden ästhetische Energien ihren Kreationsmoment im Rezipienten und seiner Wahrnehmung, die somit konstitutiv für die künstlerische Arbeit wird.

Thermohygrograph

Thermohygrographen sind Messgeräte zur gleichzeitigen Erfassung und Notation der Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit während eines kontinuierlichen zeitlichen Verlaufes einer bestimmten Zeitspanne in einem Raum. Sie finden sowohl in der Meteorologie, beispielsweise in Wetterstationen, wie auch in der Konservation von Kulturgütern, vorrangig in Museen, aber auch im Bau- und Transportwesen zur Sicherung von bestimmten Raumzuständen Verwendung.

In Museen und Ausstellungsräumen sind Thermohygrographen zum Schutz der präsentierten Kunst in den Räumen aufgestellt, um die Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit kontinuierlich zu messen. Hierdurch soll gewährleistet und überwacht werden, dass der Ausstellungsraum eine möglichst konstante Temperatur und Feuchtigkeit mit bestimmten Werten ohne Schwankungen aufweist, um das Material der ausgestellten Objekte bestmöglich zu schützen.

Während einer bestimmten Zeit – meist eine Zeitspanne von einer oder zwei Wochen bis hin zu einem Monat umfassend – misst der Thermohygrograph die Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit in einem Raum. Die relative Luftfeuchtigkeit bezeichnet das als Gas in der Luft verteilte Wasser in Relation zu dem temperaturabhängigen Sättigungsvermögen der Luft. So hängen die Feuchtigkeit der Luft und die Raumtemperatur engstens miteinander zusammen und bilden gemeinsam das Raumklima. Dieses zeichnet der Thermohygrograph während der Messung mit einem Schreibaufsatz auf einem skalierten Papier einer rotierenden Trommel auf, indem er die Werte als Kurve visualisiert.

Um klimatische Raumbedingungen, wie Luftfeuchtigkeit und Zimmertemperatur, aufzuzeichnen, wird ein Messpapier direkt unter zwei Filzschreibern auf eine Trommel gespannt, die mechanisch oder elektronisch aufgezogen wird und mit einem Bimetall sowie Haaren verbunden ist, die wiederum auf die Umgebungswärme und Feuchtigkeit reagieren und dadurch ihren Zustand verändern, was auf die Trommel und somit die Messskala übertragen wird. Denn die Dimensionen hygroskopischer Materialien verändern sich mit wechselnder Luftfeuchtigkeit. So wird das Funktionsprinzip der Längenausdehnung menschlicher Haare in Abhängigkeit zur Luftfeuchtigkeit zu Mess- und Notationszwecken eingesetzt. Denn die sich bei Feuchtigkeitsaufnahme ausdehnenden Haare setzen ein Hebelwerk in Bewegung, das mit dem Schreiberarm gekoppelt ist und so zur Aufzeichnung der Werte führt.

Die unterschiedlichen Materialien künstlerischer Arbeiten, wie beispielsweise Leinwand, Papier oder Fotopapier, Leder oder gar Lebensmittel bei Gemälden, Zeichnungen oder Rauminstallationen, weisen jeweils eigene, spezielle Ideal-Klimawerte auf, was gerade in der sich heute zunehmend diversifizierenden Bandbreite künstlerischer Techniken und Vorgehensweisen eine Schwierigkeit der Festlegung des Idealklimas an Orten der Präsentation zeitgenössischer Kunst mit sich bringt. Standardmäßig wird eine relative Luftfeuchte von 55% bei etwa 19-21°C als Richtwert für Museen empfohlen.

An den aufgezeichneten Messkurven eines Thermohygrographen lassen sich exakt die im Raum vorliegenden Werte der relativen Feuchtigkeit und Wärme zu jeder Uhrzeit während der Messung ablesen. Zur Überwachung des Raumklimas müssen die Meßgeräte selbst im Ausstellungsraum positioniert werden, auch wenn sie keine Kunst, sondern ein Funktionselement zum Schutz darstellen. Oftmals stehen Thermohygrographen auf dem Boden an Ecken, manchmal auch auf Sockeln oder Vorsprüngen und besitzen immer wieder das Potential mit ihrem relativ lauten Ticken des aufgezogenen Uhrwerkes sowie ihrer Größe und ihrem Instrumentencharakter die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher auf sich zu lenken.

Diese klanglichen und visuellen Aspekte von Thermohygrographen erkannte Heiko Wommelsdorf und verschiebt nun den Thermohygrographen als Objekt aus der dienenden Funktion in die Position des Materials und Inhalts seiner künstlerischen Arbeit. Hierdurch lenkt er den Fokus der Rezipienten auf die Geräusche im Raum ebenso wie auf eine bewusste Wahrnehmung der Raumbedingungen der Temperatur und Luftfeuchtigkeit, wobei diese wiederum die Schallwellen eines erzeugten Klanges übertragen und somit Grundkonstituenten von Heiko Wommelsdorfs Klangkunst darstellen. Diese theoretische Durchdringung der Metaebenen – Luft als Schall übertragendes Material zu untersuchen und dabei zugleich auch hierdurch wieder zum Klingen zu bringen – zeigt die Reflektionstiefe wie auch räumlich-situative Rückbindung von Heiko Wommelsdorfs klangkünstlerischer Arbeit auf.


Julia Katharina Thiemann (Kuratorin)
In: Schlafzimmer-Ausstellung I-III, Künstlerhaus Schloss Balmoral, Stürken Albrecht, Bremen 2016