Räume mit Kunst drin sind immer gleich. Sie sind in Gebäuden. Manche sind dunkel und manche sind hell, meistens gibt es keine Türen oder nur welche aus Glas oder dunklem Holz, an manchen Decken hängen Scheinwerfer oder sie haben riesige Fenster oder überhaupt keine, auf dem Stuhl in der Ecke sitzt ein alter Mann oder eine mittelalte Frau, und die hat eine Uniformjacke oder einen Uniformpullover an, aber sie haben alle denselben Gesichtsausdruck. Manchmal ist der Fußboden aus Holz und manchmal aus Beton oder irgend so einem sündhaft teuren Spezialbelag aus behandeltem Marmor oder Kolibriknochen, trotzdem alles gleich, zugegeben, letztlich soll man sich gar keine Gedanken darüber machen, sondern sich auf die Kunst fokussieren, aber wenn alle Räume gleich sind, dann gilt das in gewissem Sinne auch für die Dinge, die man darin betrachten kann, da prangen dann Götter auf der Leinwand oder Gestalten aus der Bibel, die man überhaupt nur noch kennt, weil jemand, der viel berühmter ist als Abraham und Isaak und wie sie alle heißen mal gemalt hat, oder man kann überhaupt nichts auf dem Bild erkennen und kommt sich minderbemittelt vor und denkt sich deshalb ganz schnell etwas wahnsinnig Pfiffiges aus. Mitunter klebt auch nur irgendwas in der Ecke.

Dann ist da aber noch die Technik eines Raumes. Der Feuerlöscher, der alle paar Jahre mal für Kunst gehalten wird und dann lachen alle, die Glück hatten und zur Eröffnung „krank“ waren oder „unabkömmlich“, wodurch ihr Expertenstatus unangefochten bleibt. Aber auch die Rohre, durch die alles hin und hergeleitet wird, was im Grunde auch sowieso da wäre, also die Luft und die Geräusche und die Wärme und die Kälte. Und die Leitungen und die Gitter und die kleinen Schaltkästchen und die großen Konsolen. Es ist diese Technik, die einen Kunstraum einmalig und besonders macht, denn sie erzeugt die Atmosphäre.

Und diese Atmosphäre konditioniert uns. Wir könnten ein Bild wahrscheinlich gar nicht mehr als Kunst wahrnehmen, ohne die besondere Tapete darum herum. Und ohne die leisen Gespräche und die Schritte der anderen Besucher. Und ohne das Summen der verschiedenen Klimaanlagen, ohne das Hüsteln der Aufsicht. Mit der Zeit stellt sich dann die Frage, ob man innerhalb dieser sehr speziellen Umgebung die Kunst überhaupt noch benötigt. Die gibt es ja auch im Internet. Aber eben ohne das Summen der Leitungen.

Und ohne Hygrometer.

Ich war als Kind nicht besonders technikversessen. Von fischer-Technik ™ hatte ich praktisch nichts. Chemiebaukästen auch nicht. Und alle Spielzeugautos habe ich gegen Comics getauscht.

Aber Hygrometer haben mich immer fasziniert, der Gang zu diesen wunderbaren Instrumenten, in vielen Museen Europas, war für mich stets fester Bestandteil des Kunstkonsums, und er ist es heute noch, auch wenn sich die Technik geändert haben mag.

Früher waren die Hygrometer überall gleich. In Deutschland und im Ausland, in modernen Galerien und in den Palastgräbern alter Meister. Sie sahen genauso aus, wie der Apparat, den Heiko Wommelsdorf dankenswerterweise und mit viel Gespür für das Wesen der Kunst in unser studioblau gestellt und mir mit einem Schlag meine Kindheit und einen neuen Blick auf die Kunst und den ganzen anderen Quark, der damit zusammenhängt, vermittelt hat. Und ich wäre nicht der gewissenhafte und fleißige Katalogtextverfasser, als der ich mir mittlerweile in der ganzen Stadt einen übel beleumundeten Namen gemacht habe, wenn ich nicht anlässlich der mir angetragenen Aufgabe, einen Versuch über das Hygrometer zu verfassen, eine umfangreiche, mehrminütige Wikipedia-Recherche vorgenommen hätte, deren bescheidene Ergebnisse nunmehr in Folgendes einmünden mögen.

Eigentlich fand ich das Hygrometer viel interessanter, als ich noch nicht wusste, worin seine Funktion besteht. Außer der Tatsache, dass etwas gemessen wird, das kann man sich unproblematisch erschließen, war mir nichts klar. Man hätte mir alles erzählen können, die Erschütterung des Bodens, die Lautstärke der Räumlichkeiten, der Elektroplasmagehalt- alles das hätte ich ohne Umschweife akzeptiert, so wie auch die etwas enttäuschende Wahrheit mit der Luftfeuchtigkeit. Etwas schlicht, wenn man ehrlich ist. Und was erschwerend hinzukommt: jetzt, wo ich weiß, wozu das Ding dient, bin ich in meiner Auswahl süffiger fun-facts äußerst eingeschränkt. Denn ja, da läuft eine Papierrolle unter einem Schriftzeiger, unendlich langsam, viel zu langsam für ein Kind, aber für einen Erwachsenen verlockend meditativ, aber im Grunde geht es doch immer nur um die Luftfeuchtigkeit. Oder Luftfeuchte? Eines dieser Wörter ist sicher präziser als das andere, aber warum? In Wikipedia steht nur das eine, aber das muss ja alles nicht stimmen.

Interessant ist vielleicht noch das mit den Haaren. Früher benutzte man offenbar zur eigentlichen Messung, und der Erfinder des Wunderwerks, ein gewisser de Saussure, verwendete ein blondes (!), Frauenhaar. Was hat ihm diese Frau bedeutet? Wir, das heißt Wikipedia, wissen es nicht. Sicher eine Geliebte, von der ihm lediglich eine Locke geblieben war, welche er dann in einem kathartischen Akt zugunsten der Wissenschaft gleichsam opferte, sprich aufdröselte, um all die einzelnen goldenen Fädchen erst in erfolglosen Versuchen zu verheizen bzw. sich durchfeuchten zu lassen, um dann mit dem letzten, dem allerletzten, seiner letzten Erinnerung, den Durchbruch in der Luftfeuchtemessung zu erzielen, im Frankreich des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts (ein Jahrhundert, das etwas auf sich hält, ist immer ausgehend).

Aber ist Luftfeuchtigkeit nicht viel mehr als der Unterschied zwischen Lithiumchlorid-Taupunktspiegelhygrometer und Schleuderpsychrometer? Womöglich nicht. Trotzdem sollte man sich diese Wörter merken: coulometrischer Feuchtesensor, Aspirationspsychrometer, akanthusblättriger Eberwurz. Und natürlich den Entwickler des Bifilar-Hygrometers, also eines mit gleich zwei Haaren drin: Wilhelm Klinkerfues.

Wenn das keine Kunst ist, weiß ich auch nicht.

Heiko Wommelsdorf hat bei uns die Kunst einen Schritt weiter getrieben: vollkommen losgelöst von jedwedem Material oder Licht. Ermöglicht einzig und allein in unserem Bewusstsein, die privateste Kunst, die man sich überhaupt vorstellen kann. Ermöglicht von der Atmosphäre, die sich über die Jahre unserer Rezeption von Kunst ganz langsam mit dieser verbunden hat, so dass sie heute nicht mehr voneinander zu trennen sind. Aber darin liegt, wie man bei uns sehen und hören konnte, eine sehr, sehr große Möglichkeit.


Hans Gerhard (Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken)
In: Studioblau 16, Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken 2017