Mit seiner Einzelausstellung im Kunstraum Tosterglope wagt sich Heiko Wommelsdorf auf ihm unbekanntes Terrain. Denn wenngleich seinen Klanginstallationen grundsätzlich ortsspezifische Konzepte zugrunde liegen, geht diesen doch immer eine Phase der Recherche und Produktion voraus. Der von ihm hier gewählte Ausstellungstitel allerdings betont in diesem Fall nicht bloß seine ortsbezogene Arbeitsweise, sondern verweist überdies auf die an sich selbst gestellte Herausforderung, eine Ausstellung direkt vor Ort zu konzipieren. Die Produktionsparameter wurden so durch den Ort bedeutend mitbestimmt – und das Moment des Zufalls und Prozesshaften zu einem wesentlichen Teil der entstandenen Arbeiten.

Beim Eintreten durch die Haustür des ehemaligen Bauernhauses in die Diele ist das Geräusch von Schritten zu vernehmen. Je weiter sich der Besucher dem großen Ausstellungsraum nähert, nimmt es an Intensität zu und der Raum füllt sich mit dem Klang unzähliger Schritte über knarrende Bodenbeläge. Betritt er schließlich den Ausstellungsraum, wird sein eigenes Fortbewegen auf dem dort vorhandenen Dielenboden selbst Teil dieses Klangteppichs.

Rau und roh reihen sich entlang der Wände dieses Raumes lange, massive Fichtenbohlen – einige gänzlich unbehandelt, andere von einem grünlichen Schimmer überzogen und bei näherem Hinsehen weist jede zweite von ihnen eine Kreuzmarkierung aus gebundener Paketschnur auf. Mittig der Fensterfront, die den Blick in den Garten freigibt, befindet sich zudem noch ein Stativ mit installiertem Aufnahmegerät. Seine Platzierung hat etwas Flüchtiges – kurz abgestellt, vielleicht vergessen während einer Auf-, Um- oder Abbauphase?

Das, was auf den ersten Blick wie zufällig abgestellt scheint, ist letztlich aber der Schlüssel zur Arbeitsweise von Heiko Wommelsdorf, denn das Aufnahmegerät zählt zu seinen wichtigsten Werkzeugen. Mit diesem gelingt es ihm, Geräusche des Alltäglichen einzufangen, festzuhalten und zu sammeln. Unwichtig oder gar banal mag es dem einen erscheinen, was Wommelsdorf wiederum für bemerkenswert hält. Doch für ihn sind es insbesondere diese oft unbemerkten Dinge des Alltags und deren Töne und Klänge, die den Ausgangspunkt seiner künstlerischen Praxis bilden.

Als ehemaliger Student des Installations- und Performancekünstlers Arnold Dreyblatt, der selbst bei dem Komponisten und Klangkünstler Alvin Lucier Komposition studierte und Ulrich Eller, der für seine raumbezogenen Klangkunstinstallationen bekannt ist, bewegt sich der Künstler mit seinen Klanginstallationen auf geschichtsträchtigen Pfaden großer US-amerikanischer Namen der Minimal Music und seinen Vorläufern. Steve Reich und Philip Glass sind bis heute wichtige Referenzgrößen für ihn. Wesentlich geprägt und inspiriert von deren kompositorischen Methoden und Verfahrensweisen ist es ihm in den vergangenen Jahren gelungen, diese auf seine eigene Praxis aber nicht bloß anzuwenden, sondern auch weiterzuentwickeln. In seinen Arbeiten hat sich eine Emanzipation gegenüber des musikalischen Klangs vollzogen – mittlerweile sind es die Geräusche des Alltags, die den Künstler auf der Suche nach dem Ursprung von Klang faszinieren und umtreiben. Im Fokus stehen dabei Orte und Räume mit ihren akustischen Eigenschaften und narrativen Qualitäten.

„Alles, was klingt, gehört zur Kunst des Klangs. Ob das Zischen von heißem Blei beim Eintauchen in kaltes Wasser, ob das Aufschlagen von Holzstäben auf verrostete Rollläden, ob die Klänge präparierter Klaviere — alle Töne, Geräusche und Klänge sind Teil des neuen Klangkosmos.“

In eben diesem von Peter Weibel beschriebenen Kosmos bewegen sich auch die Klanginstallationen von Heiko Wommelsdorf. Das Rauschen oder Klappern eines Lüftungsschachts, das Geräusch von sich in Eimern sammelnden Wassertropfen oder, wie im Kunstraum Tosterglope vor Ort, das Knarren von Holzdielen – dieser unerschöpfliche Fundus alltäglicher Geräusche bildet den Ausgangspunkt seiner künstlerischen Arbeit und das Aufnahmegerät dient dabei der Archivierung dieser flüchtigen, oft unbemerkten Momente. Denn was beim ersten Hören immer gleich und trivial scheinen mag, legt bei wiederholtem Abspielen doch feine Varianzen und Rhythmen offen, die wiederum kompositorische Potenziale in sich bergen. Mit genau diesen Potenzialen arbeitet der Künstler, wenn er Sequenzen dieser Audiomitschnitte herausfiltert, zu in sich wiederholenden Mustern arrangiert und in unterschiedlichen Tonspuren zueinander in Beziehung setzt.

Unter Einbeziehung einfacher Alltagsgegenstände als Verstärker und Klangträger der ortsspezifischen Audioaufnahmen hat Wommelsdorf für seine Installationen auch visuell eine sehr zurückhaltende und reduzierte Handschrift entwickelt. Mit Hilfe dieser werden Sinnzusammenhänge generiert, die eine Schärfung der eigenen Wahrnehmung anstoßen und durch eine – mitunter irritierende – Rekontextualisierung zu einem konzentrierten Hören und Beobachten auffordern. Den kleinen Ausstellungsraum in Tosterglope lässt der Künstler beispielsweise als Resonanzkörper selbst Teil der über dem Boden schwebenden Klanginstallation werden, indem er ihn als Träger des von der Decke abgehängten Lautsprecher-Ensembles nutzt. Ferner wird die Wahrnehmung des Rezipienten durch die Bewegung kleiner Steinchen in den Lautsprechern auf die physikalische Qualität von Klang und Ton gelenkt.

Unbewusst verbindet sich das Gehörte mit dem Gesehenen. Erst ein Innehalten und genaues Hinhören entlarvt den antizipierenden Betrachter, denn es sind nicht die hüpfenden Steine, die den Raum mit Klang füllen, sondern vom Künstler arrangierte Klangaufnahmen vom Blätterrascheln der Bäume und Sträucher im Garten des Kunstraums. Dramaturgisch stellt Wommelsdorf damit eine subtile Verbindung zwischen dem Innen- und Außenraum dieses Ausstellungsortes her, die zugleich auf narrativer Ebene einen Gedankenraum öffnet und den in einem ehemaligen Bauernhaus ansässigen Kunstverein auf dem Lande und seine damit nicht zu trennende Geschichte thematisiert.

Klang, Objekt und Raum bedingen sich in Wommelsdorfs installativen Arbeiten stets gegenseitig und bilden damit untrennbare Größen. Die von ihm verwendeten Objekte funktionieren dabei ähnlich wie Weichen, durch die unsere Wahrnehmung geleitet, gelenkt wird. Darüber hinaus ermöglichen sie als physikalische Klangträger und –verstärker neue Lesarten und Interpretationen von Räumen und damit nicht zuletzt der eigenen Wahrnehmung. Denn auch wenn jenem bis zur Moderne noch unbekannten Ton – dem Geräusch – in der Musik und der Kunst längst ein legitimer Status zugesprochen wurde, bleibt seine Besonderheit unter dem Mantel des Alltäglichen viel zu oft verborgen.


Mascha Pöhls (Kuratorin)
In: Heiko Wommelsdorf – Vor Ort, Kunstraum Tosterglope e.V., BAR M, Berlin 2015