Wommelsdorfs Arbeiten inszenieren das Unsichtbare.

Alles was wir lieben können ist unsichtbar. Das Auge, so der Beginn des Films, so der surrealistische Aufschlag, besteht im Schnitt. Der Schnitt ist die Unterbrechung des bewegten Bildes: 24 Schnitte, das ist eine Bewegung. 24-mal die Wahrheit ist 24-mal eine Lücke, eine Unsichtbarkeit des Davor und des Danach.

Werden wir gefragt: Was liebst du an mir? Eine Liste an Eigenschaften? Wofür ein Jeder geliebt werden will, ist außerhalb des Sinnlichen, außerhalb einer Liste. Zugleich beginnt jede Liebe mit Sinnlichkeit. Und doch, wie alles Sichtbare auf das Licht verweist, verweist die Frage nach der Liebe auf eine Unsichtbarkeit, die das Ende der Liebe bedeutet. Denn sie beschreiben zu wollen, bedeutet sie aus der Sinnlichkeit zu ziehen. Sie soll sich im Wort wieder ereignen, sich wiederholen, sich zurück erobern in einer reflektierten Form: dem Ruf. Die Frage nach der Liebe ist ein Verlust der selben, zugleich ist sie die Aufforderung zu ihr.

Eine Wahrheit der Liebe ist gleichsam der Schnitt in eine Geschichte, einer Reihe von Photographien, ein Cut: das Motiv der Photographie friert diesen Moment des Übergangs ein und bildet es zugleich. Das Davor, die Sinnlichkeit und das Danach, die reflektierte sprachliche Anrufung zeigen sich im Bild. Uns bleibt heute nur die Möglichkeit auf diese Frage mit einem Bild vom Anderen zu antworten. Zugleich, im Erscheinen des Gefragten, in der Beschreibung dieser Liebe, verschwindet der Geliebte als Zuhörer wie auch als Motiv: er wird gebildet und rezipiert im selben Schritt. Das sprachliche Bild der Liebe unterliegt den selben Gesetzen wie das photographische: dem Blick.

Das Kunststück, diese Feuerprobe der Liebe zu bestehen, ist nun als Konstrukteur des Bildes in der Beschreibung zu verschwinden und unterzugehen in dem Anderen in der Weise, dass dieser sich erkannt glaubt. Die Photographie ist die Genealogie dieses Verschwindens. Wommelsdorf beschreibt in einigen wesentlichen Aspekten die vollendete Aufhebung dieser Geschichte des Verschwindens, indem er das Bild unter dem verschüttet, was nicht in ihm vorkommt. In der Abwesenheit des Bildes, wird die Bedingung des Selben, nämlich das unsichtbare Licht, die bewegten Körper wieder sinnlich erfahrbar. Eben nicht als kondensierter, wahrheitsfähiger Gegenstand (die Photographie), sondern auf der Ebene der sinnlichen Affizierung durch die unsichtbaren Kräfte: der Rezipient oder besser, derjenige der gefragt hatte „Was liebst du an mir?“ erscheint darin als Lücke. Die Antwort auf das Warum der Liebe verbleibt in der subjektiven Sphäre in welcher die Liebenden in der Beschreibung verschwinden: das Wirkliche verschwindet in der Beschreibung.

Die Photographie ging in dem selben Maße die Malerei an, wie sie auch die Sprache anging. Denn sowenig es nach ihr einer Landschaftsmalerei bedurfte, so wenig wurde auch nach Reiseliteratur und noch weniger nach Poesie gefragt. Das Bild erschien in einer Nähe zum Abgebildeten zu sein, die von den herkömmlichen Archivierungen nicht eingeholt werden konnte. Verkannt wurde darin, dass diese Nähe wesentlich imaginativ ist. Das Photo täuscht eine Nähe vor, die Sprache und Bild niemals beansprucht hatten. Das Quodlibet der Malerei war eine Mode der Malerei, ebenso wie die Vorstellung einer universalen Sprache ein mystischer Versuch blieb. Jedoch das Photo ist, weil es für den Blick ist, nur Körper und damit Abwesenheit der Einheit des Leibes, weil es in ihr weder ein Geheimnis, noch eine Universalität geben kann.

Aber wo ergab sich im Photo eine Möglichkeit der Liebe? Analog zur poetischen Nullstelle, der rhythmischen Lücke oder schlicht dem, was im Satz nicht zur Sprache, sondern zum Ausdruck kam, war es der Schnitt. Mal als „Knips“, als Unterbrechung der Wirklichkeit als festgehaltener Augenblick, dann als Film. Der Schnitt im Film folgte auf die gefrorene Bewegung der Photographie.

Es war kein anderer als Godard, der die rhythmische Ordnung des Phasings im Jump Cut entdeckt hatte. Zwei Rhythmen, die sich angleichen, sich treffen und überholen. Die rhythmische Ordnung des Jump Cut ist das Zuvor und das Danach, die zu einer unmittelbaren Auflösung einer Gegenwart im Film erzeugen. Dadurch erzeugt es eine Bewegung der Szene ohne die Einstellung zu verändern. Analog das Phasing: Bewegung durch Wiederholung und damit Dehnung der Unterbrechung und Verlängerung der Gegenwart. In der Musik und an dieser Stelle kann ich bloß auf eine Erfahrung verweisen die jedoch jeder für sich nachstellen sollte. Steve Reichs Stück „Slow“, auf Kopfhörern durch eine Fußgängerzone, dehnte die Momente der Bewegungen der Passanten zu einem abgetrennten Kontinuum meiner eigenen Bewegungen: alles, außer mir selbst, bewegte sich in Zeitlupe.

Diese Zeitlupe ist ebenso in Wommelsdorfs Werk, wie auch in Godards Jump Cut präsent und in beiden Vehikeln eröffnen sie eine neue Sensibilität.

Das Verschwinden der Liebenden besteht in einer Rhythmik der Bilder, die sich miteinander unterhalten, die sich aufeinander beziehen, die ineinander verschwimmen. Es ist ein imaginatives Phasing, oder auch das phantasmatische Hinübergleiten des einen in den anderen, das Erscheinen des Anderen vor ihnen, das Befremden einander durch sie selbst.

Worin besteht im Charakter von Wommelsdorfs Werk das Verschwinden der Bilder und das Erstarken der sinnlichen Lust zur unsichtbaren Liebe. Denn dies ist die Forderung des „Warum liebst du mich?“: Sex. Und es ist zugleich die Antwort auf die Frage, was das unsichtbare Prinzip des Leibes ist: Sensibilität.

Der sensible Leib ist das, was uns durch die Photographie verloren gegangen ist. Denn diese zeigt bloß den begehrten Körper. Der andere Leib jedoch ist vielmehr eine Prothese, er ist nicht begehrt, sondern gewollt. Doch um ihn zu wollen, muss uns der Verlust offenbar werden. Hierin besteht eine Leistung seiner Positionen.

Wenn uns jemand eine Photographie unterhält, dann fragt er: Bist du das? Hält er uns jedoch eine Zeichnung unter, dann fragt er: Erkennst du dich wieder?

Die erste Frage fordert ein Geständnis, die zweite jedoch Einfühlungsvermögen.

Dieses Einfühlungsvermögen ist es aber gerade, welches es für einen Zugang zu den Installationen Wommelsdorfs bedarf, denn es ist eine Arbeit die sich sprachlicher Beschreibung insofern entzieht, dass sie die sprachliche Referenz, die an den Blick gebunden ist, unterminiert. Denn Körper benennt man, hingegen der Leib wird beschrieben. Daher ist sein Katalog im Grunde eine Verfremdung seiner Position. Sie ist unsprachlich und blind, jedoch der Katalog ist Text und Bild. (In seiner Sprachlosigkeit und Blindheit ist Wommelsdorf jedoch sexuell wie kaum ein anderer.)

Die Sexualität der Photographie ist die Begierde des Körpers, denn es ist der Leib der hinter der Kamera verschwindet und es ist dieser von der Bewegung befreite und von der Lücke zerhackte Körper, den sie anblickt. Und erscheint der unsichtbare Photograph in seinem Selfie, dann immer mit dieser verheerende Lücken in seinem Leib, nämlich die Kamera selbst, welche ihn zum Körper verstümmelt. Die Sexualität im Text ist die Beschreibung, eben der wandernde Blick der einen Unterpfand des Leibes bereit hält.

Wommelsdorfs Installationen im Gegenteil: in dem sie uns das Bild nimmt und wir nach etwas Sichtbaren des Werkes suchen, werden wir zum affizierbaren Leib seiner Installation. Insofern gibt sich seine Installation ganz und gibt damit uns eine Einheit unserer Anwesenheit.

Die skulpturale Ordnung der Unsichtbarkeit ist das Verschwinden des Bildes und die Vertilgung des Abstrakten. Denn die Sprache der Unsichtbarkeit ist eine durch den Gegenstand vermittelte und deshalb verfehlt, weil sie das Unsichtbare unmöglich zu ersetzen weiß. Die Photographie macht uns seit ihrem Beginn glauben, dass die Gegenstände durch die Kräfte und dass wir durch die anderen sind. Denn für sie ist der Gegenstand durch das Licht, doch für uns ist er in einer Fülle des Empfindens gegeben.

Die Reduktion der Erscheinung eines Wahrnehmungsgehaltes auf seine nicht sichtbaren Phänomene: abgekoppelter Ton und freie Sensibilität ist das Erscheinen des Gegenstandes in Abwesenheit seiner sprachlichen respektive gegenständlichen Referenz. Indem Wommelsdorf das zeigt, was im Bild nicht vorkommt, zitiert er die Verluste die uns durch die Kamera zugefügt worden sind herbei und konstituiert das verlorene Gebiet sexueller Empfindung neu.

Ein Ton wird definiert oder beschrieben, aber er ist nicht in einer gegenständlichen Weise der Sprache vorhanden.

Zugleich markiert diese skulpturale Ordnung einen Verlust der Sprache und bedingt damit ein Wiedererscheinen der sinnlichen Liebe, welche nun in ihrer unabhängigen Form in eine neue Relevanz überführt wird. Der Körper des anderen ist in seiner unberührten Einheit Objekt des Sexus, zugleich ist er aber der Kadaver des Blickes, der vom Schnitt unserer Lider zerstückelte Körper. Dieser wird nicht von seinen Bildern zusammengehalten, sondern von seinem Geruch, dem Ton seiner Stimme und der Konsistent seiner Haut. Der andere ist uns in der sinnlichen Liebe kein Bild unserer Augen, sondern das Erleben unseres eigenen Leibes. In der Liebe empfinde ich, ich empfinde sie nicht. Das Bild sehe ich, aber in dir sehe ich mich. Die Liebe fordert eine Ganzheit die uns das Photo nicht geben kann. Eine Ganzheit die jedoch in Wommelsdorfs skulpturaler Ordnung erscheint. Es ist das Phasing, das dem Jump Cut in seiner szenischen Fixierung, bei Wommelsdorf Raum, zum verwechseln ähnelt. Im unverrückten Ausschnitt des Jump Cut spiegelt sich die unverückbare Ortung seiner Installation.

Wie vollzieht sich nun das Verschwinden der Photographie? Indem sie die Wirklichkeit nicht länger abbildet, sondern dieselbe wird. Die digitale Photographie und die mit ihr mehr und mehr erscheinende Undifferenzierbarkeit von Wirklichkeit und Abbildung, lässt uns bald nicht mehr fragen, ob dieses Photo wahr ist, sondern: ist diese Wirklichkeit noch wahr. Es kündigt sich eine permanente Sensation an.

Wir werden mit diesem Scheitern in die skulpturale Ordnung gedrängt, die sich in Wommelsdorfs Agitation gegen den Blick ankündigt.

Es wird das Computerspiel sein, dass diese Wirklichkeit der Bilder für uns ersetzen wird und es werden Installationen wie die Wommelsdorfs sein, die uns die Empfindungsgebiete zurück erobern und mit einer zukünftigen Technik (Third Person Experience und Virtual Reality sind hier nur altbekannte Schlagworte eines weitreichenden Aspekts) den Sexus wieder in seiner ursprüngliche Sinnlichkeit überführen. Models wird es nicht mehr geben, sondern eine individualisierte Modephotographie: es wird auf kurz oder lang, in unseren Facebook-Streams Bilder erscheinen mit unserem Körper, unserem Gesicht, Photographien die unseren Körper tragen, in Kleidern die wir niemals trugen.

Indem, und das ist das Paradoxe, die Photographie mehr und mehr die Wirklichkeit abbildet, wird sie aufhören Photographie zu bleiben und zuletzt wird sie sich disqualifizieren die Wirklichkeit abzubilden, in dem sie nun bald die Möglichkeiten der Wirklichkeit abbilden wird, wird sie eben Wirklichkeit werden.

Mit dem Verschwinden der Photographie wird der Sexus vom Begehren gelöst und die psychologische Komponente (das Begehren des Begehren des Anderen) ersetzt von einer sinnlichen Ordnung des Leibes. Der Schnitt vollzieht sich so dann nicht mehr an der Imagination, wird nicht mehr Unterbrechung bleiben, sondern er wird die Haut sein, die uns trennt und zugleich die Berührung werden, die uns verbindet. In einem nie dagewesenen Spektakel werden wir uns abhanden gehen.


Dr. phil. in art. Tobias Muno
In: Verfehlte Schöpfung #3, P/ARTIKEL, GUDBERG GmbH & Co. KG, Hamburg 2014