Klimaanlagen, Lüftungssysteme, Rauchmelder, Heizungssysteme, Leuchtstoffröhren, Lichtschranken, ein Windzug, ein Geruch und die Reflexion der Sonne in den Fenstern: Ein Thermohygrograph lockt mich vom Gemälde weg!

Ich sehe etwas worauf ich durch Museumserfahrungen vorkonditioniert bin: einen weißen Sockel. Ich höre das Ticken eines Uhrwerks, ausgehend von einem komplexen und unglaublich spannenden Gerät. Ein Thermohygrograph, ein kombiniertes Registriergerät zum gleichzeitigen Messen und Aufzeichnen der Lufttemperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit während einer bestimmten Zeit. Exponiert auf einem Sockel befindet sich das einzige dreidimensionale Ausstellungsstück in einer Ecke eines etwa 50 m² großen Raumes. Das Ticken vermischt sich mit dem Rauschen der Lüftungssysteme und dem Surren der defekten Museumsbeleuchtung. Eine Inszenierung von architektonischen Materialgeräuschen bekommt meine größtmögliche Aufmerksamkeit. Auf der Trommel des physikalischen Messgeräts wird das Ereignis in Echtzeit auf eine abstrakte Weise als Messkurve auf dem Millimeterpapier sichtbar. Ich werde an Notationen von Klaus Schulze, Brian Eno und John Cage erinnert.

Die schnellen rhythmischen Impulse der Schuhsohlen weiterer Museumsbesucher und die Bandbreite akustischer Signale zweier sich unterhaltender Frauen setzen Akzente. Ich analysiere die Beschaffenheit und Materialität des Untergrundes. Die Deckenhöhe wird notiert und die Deckenkonstruktion fokussiert. Abgerundete Raumecken, ein nach Aufmerksamkeit strebender blinkender Rauchmelder und zwei Überwachungskameras. Der Thermohygrograph macht mich auf die Entwicklung vom Schall im Raum aufmerksam und sensibilisiert mich in meiner Wahrnehmung. Die hohen surrenden Geräusche der Lichttechnik des Museums verbreiten sich, mit Hilfe der kalten durch die Tür dringenden Luft, in meiner Wahrnehmung intensiver als im Nachbarzimmer. Die Luftfeuchtigkeit bietet den Schallwellen mehr Masse zur Verbreitung und wird durch die sich automatisch einschaltenden Luftbefeuchter reguliert. Die Komposition aus Störgeräuschen wird durch eine Bassline reicher.

Die Ausstellung (Gemälde alter Meister des 18. Jahrhunderts) eines etablierten Museums wird mit einem konkreten, physikalischen und vor allem unabhängigen Beweis meiner Gegenwart in diesem Raum dokumentiert. Während fotografische oder textliche Dokumentationen manipuliert und befangen sein können, wird ein Abdruck erstellt, der mich überleben wird. Im Millimeterpapierarchiv des Museums kann ich in 40 Jahren die Stelle finden in der meine Präsenz festgehalten ist. Der kleine Zacken da, das war ich, ein Lüftungsorchester, ein an die Scheibe des Thermohygrographen hauchendes Kind, die Luftbefeuchter und die sich vier mal öffnende Tür.


Ein Erfahrungsbericht von Heiko Wommelsdorf
In: sound/idea #1, Sven Lütgen/Zentrum für Medien der Muthesius Kunsthochschule Kiel, Kiel 2015