Beim Betrachten der Karte bleiben die Klänge stumm. Allein anhand von Zahlen werden sie durch ihre Vergleichbarkeit vorstellbar. Die Nummer 16 ist lauter als die Nummer 9. Nummer 4 und Nummer 14 haben beide einen Schallleistungspegel von 48,8 Dezibel – eine Lautstärke irgendwo zwischen Flüstern und Nieselregen. Was bedeutet es, einen Klang in eine Zahl umzuwandeln, ihn zählbar zu machen? Ihn zu nummerieren, zu etikettieren und einem Ort auf einer Karte zuzuordnen? Erkenne ich die Okerstraße im Rosenwall wieder und ein Flüstern im Verteilerkasten?

Ein Klang befindet sich nie nur an seiner Quelle, sondern entfernt sich ständig von ihr und bewegt sich zwischen Körpern und Objekten. In Momenten des Hörens eröffnen sich Räume der Interaktion zwischen Hörenden und Gehörtem und verschwinden wieder. Klänge sind somit ortsspezifisch und ortsunabhängig zugleich. Sie erzeugen einen Ort und werden gleichsam durch ihn erzeugt.

In städtischen Umgebungen tritt die Eigenschaft von Klängen, allgegenwärtig und doch nirgendwo zu sein, verstärkt auf. Die Lokalisierung der wahrgenommenen Klänge in einer Stadt wird durch die Vielzahl von Schallquellen und Schall reflektierenden Oberflächen erschwert. Den Ursprung eines Klanges nicht erkennen zu können, fühlt sich in manchen Fällen unangenehm an. Es entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Wahrnehmenden und Wahrgenommenem. Schallquellen eindeutig auf einer Stadtkarte zu markieren, kann ein Weg sein mit diesem Ungleichgewicht umzugehen. Laut EU-Umgebungslärmrichtlinie erfolgt die Bewertung der Lärmbelastung in Städten und Gemeinden durch die Kartierung von Lärmquellen. Auf Grundlage dessen werden anschließend Aktionspläne zur Lärmminderung erarbeitet. Die Erfassung von Klängen, welche die jeweils festgelegten Lärmgrenzwerte nicht überschreiten, wird somit auch zu einer Auseinandersetzung mit der Frage, was wir hören würden, wenn es keinen Lärm mehr gäbe. 

           Welche Geräusche bewerten wir als störend und welche nicht? 
                                         Ist ein Klang, der nicht stört, schon ein schöner Klang? 
                                                                    Was wollen wir hören? 

Der Gehweg ist eine flüchtige Bühne. Er ist ein Ort zwischen Startpunkt und Ende, zwischen Intimität und Öffentlichkeit. Er ist ein dynamisches klangliches Gewebe voller Spannungen, Rhythmen und Harmonien. Im Gehen erfahren wir uns selbst als handlungsfähige Subjekte und sind zugleich eingegrenzt durch uns umgebende Systeme und Geografien. Wir nehmen Raum ein und weichen aus, gehen Umwege oder ziellos umher. Die beim Gehen hinterlassenen Spuren werden Teil urbaner Strukturen. Sie zeigen sich in Trampelpfaden, in Stickern oder in eingeritzten Worten auf einer Parkbank. Sie sind ein Hinweis darauf, dass die Wege, auf denen wir gehen, schon tausendfach begangen und wieder verlassen wurden. Einer Spur zu folgen, kann sich anfühlen wie ein empfohlenes Buch zu lesen und sich bei jedem Satz zu fragen, was die Person, die es empfohlen hat, während des Lesens gefühlt hat. Dieses sich Hineinversetzen bedeutet jedoch auch, die eigenen Gewohnheiten des Gehens aufzulösen und seine Aufmerksamkeit auf Details zu richten. Vielleicht finden wir beim Begehen der Klangkarte nicht das, wonach wir suchen. Die Spur kann uns entgleiten, wir könnten uns verlaufen und doch irgendwo ankommen.


Maria Conrad
In: Schallleistungspegel Wolfenbüttel-Zentrum, Kunstverein Wolfenbüttel e.V., Flyeralarm, Würzburg 2021