Turntables ist der Titel der 3-Kanal Klanginstallation des Klangkünstlers Heiko Wommelsdorf, welche er speziell für die Ausstellung TonArt in der City Gallery des Kunstverein Wolfsburg im Alvar Aalto Kulturhaus konzipierte. Zu sehen sind drei weiße hüfthohe Sockel, die sich in den rasterartigen Alvar-Aalto Fliesenboden ebenso einfügen wie in den Rest des Raumes, dessen Wirkung besonders von dem großen Schaufenster zur Fußgängerzone geprägt ist. Auf diesen drei Sockeln stehen drei einfache Schallplattenspieler, auf denen jeweils eine Platte liegt. Über jeweils einen dieser Sockel + Plattenspieler- Konstruktion hängt an dünnen Drähten ein Lautsprecher, welcher den Ton der Platte empfängt und diesen an den Verstärker unter den Sockeln weiterleitet. Der derzeitige Meisterschüler von Prof. Ulrich Eller an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig arbeitet in den letzten Jahren erfolgreich mit unterschiedlichen Institutionen und Projekten im Feld der Klangkunst zusammen. Verglichen mit anderen Bereichen der bildenden Kunst ist die Klangkunst und speziell ihre Theorie und Geschichte neu und öffnet ein interessantes Feld zwischen Performance, Happening, Installation, Environment, Skulptur, Architektur und Musik, zwischen Kategorien wie Rauschen und Geräusch, Klang und Ton.

Heiko Wommelsdorf interessierte diese künstlerische Schnittstelle schon seit Beginn seines Studiums. Als Bildhauer baut er installative Raumsituationen, visualisiert (fiktive) bauliche Störungen, wie das Flackern von Lampen oder Löchern in Wasserleitungssystemen. Als experimenteller Instrumentenbauer konzentriert er sich auf die dabei entstehenden Rhythmen, Klänge, Töne etc. So könnte man sagen, dass seine Arbeit häufig auch darin besteht für nicht hörbare, gegenwärtige Geräusche ein instrumentales Objekt zu bauen, welches den Klang erfahrbar macht. Die daraus resultierenden akustischen Kulissen mögen auf den ersten Höreindruck chaotisch klingen, wirken jedoch mit einer gewissen Zeit wie eine Komposition des Materials/Mediums, welches den Rhythmus durch seine materielle/technische Beschaffenheit und Funktionen vorgibt.

Wie auch in der Arbeit Turntables, in der wir sechs Halbe und zu drei Ganzen zusammengeklebte Schallplatten haben, welche gleichzeitig oder einzeln abgespielt werden können je nachdem wie der Betrachter die Plattenspieler aktiviert. Der Künstler kombinierte Platten mit klassisch komponierter Orchestermusik von Mozart, Brahms, Beethoven, Verdi u.a. Diesen Rückgriff auf klassische Musik könnte man als eine Art klangkünstlerische Tradition betrachten, in der die Strukturen musikalischer, klassischer Kompositionen grundlegend hinterfragt erden. In Turntables werden neben der Klassik und der Schallplatte – als eines der älteren Abspielmedien – weitere alte musikalische Kategorien wie Metrum, Takt und Harmonien aufgegriffen und umgekehrt. Die in den Stücken vorhandene Harmonie wird durch die Schnittstelle gebrochen. Normalerweise würde bei dem gleichzeitigen Abspielen der Platten ein chaotischer Musikwirrwarr entstehen. Doch durch die Schnittstelle entsteht ein eigener Rhythmus, der an das Schlagen eines Metronoms erinnert und somit diese polyrhythmische Installation und ihr Betonungsmuster. organisiert. Diese Naht erzeugt den Takt. In dem Moment wo man eine Harmonie, Steigerung oder Dramaturgie zu erkennen glaubt, wird der Hörgenuss unterbrochen. Wir bekommen nur die Hälfte des musikalischen Moments geliefert.

Das Phasing, eine vom Künstler bevorzugte Methode bzw. Kompositionstechnik, wird in dieser Arbeit zu einer Art Polymetrik bzw. Rhythmik weitergeführt. Zwar ist das Metrum ‚eine halbe Schallplatte‘ bei allen gleich – aber es gibt Sechs halbe Stimmen mit einem je eigenen rhythmischen System und eigenem Metrum die sich – je nachdem wie viele Schallplattenspieler gleichzeitig laufen – überlagern. Es gibt zwei musikalische, akustische Ebenen, welchen der Betrachter ausgesetzt wird. Der musikimmanente klassische Rhythmus wird vom Komponisten vorgegeben, aber – der Titel Turntables spielt darauf an – The spectator is the DJ.

Heiko Wommelsdorfs Turntables ist eine Musikmontage mit einer ganz eigenen Dramatik, welche aus dem Zerstörungsprozess der Platte resultiert. Die konzentrierte Form, der Aufbau und der Funktionsmechanismus sind offengelegt. Hinter seinen manchmal auf den ersten Blick verspielt anmutenden Arbeiten lassen sich komplexe, durchdachte Strukturen erkennen. So erinnern seine Arbeiten an experimentelle Versuchsanordnungen, Forschungsprojekte in denen er den Raum und seine Strukturen oder in diesem Fall die Rolle des Betrachters (als DJ klassischer Musik) hinterfragt. Dieser ist zwischen Lautsprecher und Schallplattenspielern einer konkreten, spannungsgeladenen Situation ausgesetzt, welche sowohl visuell als auch akustisch spürbar ist.

Auf die Frage hin als was bzw. ob man ihn als Komponisten bezeichnen könnte antwortete er: ‚Als Zerstörer‘. Diese destruktive Ader könnte man fast als ein historisch gewachsenes Kennzeichen der Klangkunst und der experimentellen Musik bezeichnen. Was dabei zerstört wird sind die klassischen Kategorien und Harmonien.

Bei Turntables werden nicht nur diese von ihrer musikalischen Seite hinterfragt sondern noch einmal mehr die akustische und auch materielle Beschaffenheit der Schallplatte, in diesem Sinne; Wie viele Rillen hat eine Schallplatte?


Stine Hollmann (Kuratorin)
über die Arbeit „Turntables“ 2012